Viktor und Leila Khrapunov sprechen über die Gründe der poltischen Eskalation und des Krieges, geführt über Akorda gegen die Feinde von Nazarbajew.
Alexey Tikhonov: Leila, Viktor, guten Tag. Ich würde gerne damit anfangen, Viktor, der sich sehr gut mit den Funktionsmechanismen des politischen Systems von Akorda (Präsidentenpalast in Astana, B.d.Ü.) auskennt, eine Frage zu stellen. Seit einigen Wochen müssen wir miterleben, wie an der politischen und ideologischen Front ein unglaubliches Wiederaufleben stattfindet. Die über Akorda gegen die Feinde geführten Kriege nehmen eine phantasmagorische Dimension ein. Könnten Sie diesen Prozess kommentieren und uns erklären, welche Gründe es für eine solche Verschlimmerung gibt? Vorallem würde ich auch gerne wissen, ob Sie dieser Aussage zustimmen.
Viktor Khrapunov: Ich danke Ihnen für diese Frage, Ihr Ansatz ist korrekt. Tatsächlich finden heute Zuspitzungen des politischen Geschehens der Republik Kasachstan statt und es wird gegen diejenigen Leute vorgegangen, die von Akorda als Feinde angesehen werden. Die von den Massenmedien eingesetzte breite Offensive soll dazu dienen, das Image der sogenannten Feinde von Akorda zu diskreditieren. Eine Verschlimmerung dieses Prozesses ist deutlich erkennbar; reden wir über dessen Ursprünge.
Alexey Tikhonov: Nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates, die kürzlich abgehalten wurde, fanden neue Attacken statt, die unter anderem gegen die Opposition gerichtet waren. Warum wird das mit der Opposition verbundene Problem nunmehr als Kompetenz des Rates für Nationale Sicherheit angesehen? Auf welche Art und Weise sind beide miteinander verbunden?
Viktor Khrapunov: Das Interessanteste ist, dass die heute in der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates untersuchten Probleme geheim geblieben sind. Es ist nicht möglich etwas zu erfahren, man kann nur vermuten welche Probleme heute, oder vor einigen Tagen, im Verlauf der Sitzung des nationalen Sicherheitsrates untersucht wurden. Ich selbst bin Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates gewesen und weiß genau, wie diese Sitzungen organisiert und welche Probleme untersucht werden. Ich kann nur vermuten, dass es heute etwas gab, dass das politische Leben Kasachstans in besonderem Maße gestört hat, da der Elbassy (auf kasachisch „der Führer der Nation“, B.d.Ü.) beschloß, eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates einzuberufen. Meiner Meinung nach handelt es sich weder darum sich mit der Krise im Nahen Osten, noch mit dem Problem der Raketen, die in diesem Gebiet fliegen, zu befassen: Das hat keine Konsequenzen auf die Sicherheit Kasachstans (aus geopolitischer Sicht ist Kasachstan sehr weit weg vom Nahen Osten!). Es muss sich um etwas anderes handeln. Meiner Meinung nach ist der Führer der Nation aufgrund der aktuellen politischen Situation im Staatsinnern und um Kasachstan herum sehr besorgt. Heute sind immer mehr Leute wegen der in Kasachstan eingesetzen Politik unzufrieden, denn die Meinungsfreiheit wird nicht mehr beachtet. (So hat Dariga, Nazarbajews Tochter, in einer Rede in einem Forum betont, dass die Meinungsfreiheit nichts als ein veralteter Begriff sei und dass es nicht mehr notwendig sei, sie zu respektieren: Die Meinungsfreiheit habe ausgedient.) Wenn diese Politik, die darin besteht die Meinungfreiheit zu unterdrücken, Teil der Politik des Führers der Nation ist, dann könnte man mit einem kräftigen Angriff rechnen, der gegen die Strukturen und die Medien, die sich heute für die Meinungsfreiheit in Kasachstan einsetzen, gerichtet sein wird.
Alexey Tikhonov: Und dennoch veröffentlichen regierungsfreundliche Medien, insbesondere die Zeitung „Kazakhstanskaya pravda“, regelmäßig Artikel, in denen etwa behauptet wird, Sie seien ein Dieb und Sie hätten die Güter des kasachischen Volkes geplündert. Welche Verbindung gibt es zwischen den Problemen, die nationale Sicherheit betreffend und den Anschuldigungen, die gegen Sie erhoben werden?
Leila Khrapunova: Ich werde versuchen, diese Frage aus meiner Sicht zu beantworten. (Natürlich kann es sich nur um meine Gedanken handeln, aber ich denke, dass meine Sichtweise äußerst realistisch ist). Man kann vermuten, dass der Nationale Sicherheitsrat eine Strategie ausgearbeitet hat, die darauf abzielt, den Hauptgegner von Nursultan Nazarbajew, Mukhtar Abljasow zu bekämpfen. Meiner Ansicht nach – ich analysiere die Situation von außen, aus dem Ausland – hat jemand die „brillante“ Idee gehabt, diese virtuelle politische Bedrohung zu erfinden, dieses Bild eines politischen Feindes des Landes zu erschaffen, der vom Nationalen Sicherheitsrat bekämpft werden muss, um seiner Mission mehr Gewicht zu verleihen. In Wirklichkeit werden die persönlichen Feinde des Führers der Nation als für die Politik des Landes sehr gefährliche Feinde dargestellt, um ihm gefällig zu sein. Man kann beobachten, wie dieser strategische Plan entsprechend der Entwicklung der Ereignisse im innerpolitischen Leben Kasachstans realisiert wurde. In den letzten zwei Jahren waren wir Zeugen einer feigen Inszenierung einiger terroristischer Attentate und eines religiösen Aufbegehrens: In Zhanaozen, wo mithilfe der Bemühungen der Behörden eine friedvolle Arbeiterdemonstration in eine Art politische Konfrontation verwandelt wurde, mussten wir den dramatischen Ereignissen beiwohnen. In den letzten zwei Jahren tut das an der Macht befindliche Regime alles, um den sozialen Hass zu schüren, Zwietracht zu säen und sogar das Land in einen Zivilkrieg zu führen. Warum hat Nazarbajew das nötig? – Ich denke, dass er dies tut, um dieses virtuelle, gegen das Land gerichtete, politische Feindbild zu erzeugen, indem er die Staatsmaschinerie, das Staatsbudget und die Unterstützung der internationalen Institutionen verwendet und sich dabei die Unterstützung seitens einer politischen Elite sichert und erklärt: „Ich bin gerade dabei, die Terroristen zu bekämpfen, ich bekämpfe die Korruption.“ Wir haben auch diesen echten Kampf gegen die Korruption beigewohnt, der diesen Ereignissen vorangegangen ist und aus dem die Mitglieder des Entourages des Präsidenten ihre Vorteile gezogen haben. Dieser Kampf gegen die Korruption ist zu einem echten Geschäft für das Entourage des Präsidenten geworden, er dient ihren Interessen. Genau auf diese Weise erzeugt man eine illusorische politische Aktivität im Landesinneren, während die auf sich allein gestellte Bevölkerung damit beschäftigt ist, sich um das eigene Leben und die täglichen Probleme zu sorgen. Von außen betrachtet hat die Innenpolitik alle Anzeichen eines Schachmatts: Die Macht ist schwach, sie ist nicht in der Lage einen Dialog mit den Kasachen zu führen, der Präsident zieht es vor, sie zu erschießen. Heute sind es vor allem die prostaatlichen Medien, die sich um die Innnenpolitik kümmern. Es hat den Anschein, als solle diese Staatsmaschine die Bevölkerung vergiften und ihre Aufmerksamkeit von den wirklichen sozialen Problemen, den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der einfachen Bewölkerung Kasachstans ablenken.
Deshalb denke ich, dass man die Situation der Innen- und Außenpolitik dieses Landes durch Beobachtung und Analyse wie folgt bewerten kann: In der Außenpolitik gab es Erfolge, es wurden großangelegte Kommunikationskampagnen durchgeführt, das Thema der Denuklearisierung wurde ausgeschöpft, um eine Nominierung zum Friedensnobelpreis zu erhalten… gleichzeitig wurde die Macht im Bereich der Innenpolitik immer schwächer, unfähig die wirtschaftlichen Probleme zu lösen, die Organisation transparenter, lokaler und gerechter Wahlen zu sichern, oder wirklich die Korruption zu bekämpfen. Heute kann die Bevölkerung zu Recht behaupten, dass der scheinheiliche Kampf gegen die Korruption keine Wirkung mehr hat, man muss hier damit beginnen, die wichtigsten korrupten Leute zu bestrafen. Die kasachische Bevölkerung lässt sich nicht täuschen, wir wissen, dass die hauptsächlich korrupten Leute heute Sitze in Akorda besetzen.
Die Innenpolitik ist also gescheitert, in diesem Zeitraum haben wir keine großen Erfolge im sozialen Bereich gesehen. Zur gleichen Zeit haben wir gesehen, wie die Meinungsfreiheit in den Medien unterdrückt wurde. Viktor erinnert daran, dass die Staatsvertreter nunmehr die Meinungsfreiheit als eine veraltete Erscheinung betrachten, die Ihre Zeit gehabt hat. So zeigt Kasachstan heute der ganzen Welt seine Fortschritte bezüglich der Bevölkerungsmanipulation und der Aufmerksamkeitsablenkung von den persönlichen Problemen auf künstliche Probleme. Heute ist die gesamte Staatsmaschinerie und das gesamte Land mobilisiert, um die persönlichen Feinde der Familie Nazarbajew zu bekämpfen – und das nur aus dem einzigen Grund: Weil es sich um seine politischen Gegner handelt. Alles deutet darauf hin, dass Nazarbajew eine politische Schwäche gezeigt hat, denn eine starke Macht beweist derjenige, der dazu fähig ist, einen Dialog mit seinem Volk auch über politische Themen zu führen. Wenn allerdings die an der Macht Stehenden sich weigern, sich dem Volk zuzuwenden und stattdessen mit reaktionären Entscheidungen und Handlungen reagieren, zeigt dies nur die Angst, die bei dem Gedanken an einen politischen Dialog entsteht. Daher ist meine Ansicht über das, was in Kasachstan passiert die folgende: Es ist wahrscheinlich, dass jemand aus dem Sicherheitsrat die Notwendigkeit sieht, die Strategie zu ändern. Während zurzeit, wie jemand dies als Idee oder strategisches Vorgehen vorgeschlagen hat, die gesamte politische Opposition mit gewöhnlichen Kriminellen, Betrügern gleichsetzt, weißt alles darauf hin, dass diese Förderkampagne wichtigere, im Voraus geplante Ereignisse begleitet.
Am 19. November fand in Genf die Einweihung des Nazarbajew-Zentrums, eine öffentliche kasachische Institution, und eines ATOM-Projekts statt. Daraus kann man folgern, dass es ein Programm, eine Strategie, gibt, die nicht darauf abzielt, das Image Kasachstans, sondern das des Führers der Nation als Persönlichkeit internationaler Tragweite zu fördern und dass einige begleitende, unterstützende Ereignisse im Rahmen dieser Strategie vorgesehen sind. Eine in den Medien gestartete diffamatorische Kampagne gegen zwei Leute, die die Prinzipien der Meinungs- und der sachlichen und unparteiischen Informationsfreiheit verteidigen, ist sicherlich Teil dieser Strategie. Das erklärt auch die mithilfe der öffentlichen Medien und mithilfe der Mitglieder der gegenwärtig Machthabenden geführten Kampagne gegen die Opposition. Das erklärt auch den Grund für diese Präsentation des Führers der Nation. Unter einem „bescheidenen“ Namen und auf Staatskosten wurde das Nazarbajew-Zentrum, eine öffentliche Einrichtung, mit großem Pomp in der Schweiz eingeweiht. Welch mutige Tat, – könnte man ausrufen, während man dabei an die Entscheidung denkt, das Polygon (Gelände nuklearer Tests) in Semipalatinsk, das vor 21 Jahren von Nursultan Nazarbajew übernommen wurde, zu schließen! – Nun handelt es sich hierbei wiederum um eine Falsifizierung, das kasachische Volk wurde erneut betrogen. Denn zu diesem Zeitpunkt tat Nazarbajew nichts anderes als dem Willen des Volkes, der sich vor allem dank der Handlungen der Volksbewegung Nevada-Semei ausdrückt und das die Schließung dieses Polygons bekämpfte, zu folgen. Das ist ein weiterer Erfolg des kasachischen Volkes, der vom Führer der Nation als eigener Erfolg zur Schau gestellt wird, denn er versucht, eine internationale Anerkennung zu erhalten, indem er sich um den Friedensnobelpreis bemüht, den er nie ergattern wird.
Deshalb appelliert er an erfolgreiche Politiker, wie etwa die Herren Tokajew und Saudabajew, die diese „heilige Mission“ verwirklichten, indem sie ihre Kräfte vereinten und „von der internationalen Gemeinschaft eine breite Unterstützung fanden.“ Ihr Ziel ist klar: Vor dem Hintergrund der von den unfreien Medien geführten Diffamationskampagne gegen die freien Medien und den politischen Gegnern von Nazarbajew, wird alles drangesetzt, politische Handlungen, die darauf abzielen, die Taten und den Namen von Nursultan Nazarbajew zu verewigen, auf Staatskosten und im Namen der Republik von Kasachistan durchzuführen. Wenn ich das richtig verstehe, dann hat sich der Sicherheitsrat auf Anordnung der herrschenden Nazarbajew Dynastie versammelt, um Projekte zu erarbeiten, deren Ziel es ist, die politische Oppositon zu bekämpfen, um die Sicherheit der Familienmitglieder des Führers der Nation für die Zukunft zu garantieren und dafür zu sorgen, dass ihr Reichtum und Einfluss auf die Wirtschaft von Kasachistan gewährleistet ist.
Ich denke, dass in diesem Zusammenhang eine leichte Erhöhung der Repressionen gegenüber der politischen Opposition zu erwarten ist: Zunächst verteufeln sie die Situation, dann versuchen sie, die aktuellen politischen Gegner Kasachstans als einheitlichen Gegner darzustellen, um alle in einen Topf zu werfen, die sie stören. Man kann keine Provokationen, die dazu bestimmt sein werden, diese Kraft als eine Art kriminelle und organisierte Gruppe mit terroristischem Charakter durchgehen zu lassen, ausschließen: Dies wird ihnen erlauben, die Unterstützung internationaler Organisationen zu erwerben oder wenigstens ihr Stillschweigen zu erhoffen, wenn die kasachische Macht alle Rechnungen mit den politischen Gegnern von Nazarbajew begleichen will. In der Tat haben Nazarbajew und sein engstes Entourage jedes Interesse daran, das Image eines solchen Feindes aufrecht zu erhalten. Die sich verschlechternde Situation in den Medien, die die Staatsanwaltschaft dazu verleitet hat, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken, die Erklärungen der Tochter von Nazarbajew über die von Viktor zitierten Redefreiheit, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Landesinneren und die Präsentation auf internationalem Niveau der „noblen Mission“ des großen Führers Kasachstans – all das ist Teil eines Programms, um den Namen von Nazarbajew als großen Politiker Kasachstans zu verewigen, um den Schutz der Familienmitglieder nach seiner Abreise zu sichern, damit sie das geplünderte Kapital betreuen und ihren Einfluss auf die Wirtschaft behalten können. Das Ziel dieser Strategie liegt darin, die politischen Gegner, die persönlichen Feinde der Nazarbajews und die Personen zu beseitigen, die sie als störend empfinden und die von dieser Familie gefürchtet sind. Die Nazarbajews missbrauchen ihre Macht, lösen Repressionen aus, schaden der Wirtschaft und dem Image dieser Menschen, indem sie die Konseqenzen ihrer Taten herabsetzen und dabei nach einem Prinzip, das zu Stalins Zeiten angewandt wurde, vorgehen: „Der beste Feind ist ein toter Feind“. Heute diskutieren sie und versuchen diesem Prinzip eine öffentliche, strategische Bedeutung zu verleihen, um ihre persönlichen Interessen und den Appetit des Führers der Nation zu befriedigen, um in der Abrechnung mit den Menschen, die sie stören, schamlos die Staatsmachinerie einzusetzen. Das ist echte politische Korruption.
Alexey Tikhonov: Viktor, sind Sie mit dieser Sichtweise der Dinge, gemäß der wir der Realisierung eines Projekts von großer Bedeutung beiwohnen und das wir mit der Bezeichnung „Der Nachfolger“ umschreiben könnten, einverstanden? Denken Sie, dass alle diese Ereignisse Teil eines Programms sein könnten oder handelt es sich um eine gelegentliche Eskalation, die von diesem politischen Regime selbst, das keinen Gegner toleriert, verursacht wurde?
Viktor Khrapunov: Das hat überhaupt nicht den Anschein einer spontanen Aktion, es handelt sich um ein gut durchdachtes, bereits im Rahmen des Programms des „großen Khans“ getestetes Programm. Alle heute unter persönlicher Leitung von der Präsidialverwaltung unternommenen und durchgeführten Handlungen sind sehr gut konzipiert worden. Zu einem bestimmten Zeitpunkt bietet man der Bevölkerung eine oder jene Störung des gut etablierten Systems an, um die Aufmerksamkeit von denjenigen Problemen abzulenken, um die sich Elbassy und die Mitglieder seiner Familie kümmern sollten. Leila hat Recht, wenn sie sagt, die wichtigsten Probleme für Nazarbajew lägen in der Möglichkeit, das Kapital und das Aktivvermögen zu schützen, das „er auf ganz ehrliche Art und Weise verdient habe“, während er Präsident war, und aus legaler Sicht kein Recht darauf hatte, geschäftlich tätig zu sein. Um diesen Reichtum bewahren zu können, muss man sehr viel arbeiten und eine Person seines Alters empfindet ein starkes Misstrauen gegenüber jedem, der sich in seiner nächsten Nähe befindet. Er beginnt, Zweifel zu hegen und der ganzen Welt zu misstrauen. Um ehrlich zu sein, hätte er sich heute auf das „Gesetz des Prämierministers“ berufen können, denn der Titel des Elbassys ist für ihn reserviert – er hätte sich damit zufrieden geben können, an seine Stelle einen Präsidenten seiner Wahl wählen zu lassen (genau das hatte er geplant). Die Position des Präsidenten kann von irgendeinem seiner Familienmitglieder eingenommen werden, aber das kann auch jemand anderes sein, etwa ein Strohmann, eine Marionette, die willig den Anweisungen des Elbassys folgen. Und damit sein Nachfolger sich nicht überanstrengt, hat er die Verfassung um einen Artikel über sein Mandat ergänzt: nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Präsidentenmandate. Es ist die Angst, die heute den Staatschef treibt: seinen „dank ehrlicher Arbeit verdienten“ Reichtum zu verlieren, sich selber und seinen Familienmitgliedern nicht die Sicherheit garantieren zu können. Es wurden viele Anstrengungen unternommen, um die Bevölkerung von dem abzulenken, was sie heute bewegt: Allzu oft sehen wir, wie öffentliche Unternehmen an die Börse kommen und danach alles legal erscheint, das Geld wird sauber, man kauft oder verkauft Aktivvermögen… – all das erlaubt, das illegale Geld zu „legalisieren“, die Geldwäsche durchführen.
In der aktuellen Situation sollte die Gesellschaft meiner Ansicht nach offen sagen: „Herr Präsident, wir werden Ihre Sicherheit garantieren, wir werden Ihnen erlauben, Ihr ‚im Schweiße Ihres Angesichts verdientes‘ Vermögen zu behalten, lassen Sie aber bitte die Finger weg von Kasachstan und vermeiden Sie neue Repressalien, die vergleichbar sind mit denen von 1937 in der UDSSR“. In einer solchen Situation sollte die Bevölkerung dies lauthals hinausschreien, damit der kasachische Präsident komplett die Politik ändert und das besonders bezüglich der Bürger, die ihn gewählt haben. Er sagt nicht, dass solche Leute seiner Bevölkerung angehören, er hat nicht das Recht dazu; es sind Leute, die ihn gewählt haben, dank ihnen hat er das Recht das Land zu regieren. Nun hat er aus diesem Recht eine Einnahmequelle geschaffen und heute bereichert er sich dank der wirtschaftlichen Tätigkeit Kasachstans. Das war eine gut durchdachte und entwickelte Aktion und zu einem bestimmten Zeitpunkt verstummten alle Massenmedien. Warum? – Das ist grundlegend: Sie mussten schweigen, denn sie waren die Agitatoren, denn sie würden alles tun, um die Gemüter in Aufruhr zu bringen, die mithilfe der Aktionen der von Elbassy und seinen Anhängern kontrollierten Medien so abgelenkt wurden, wie sie es sich wünschten. Wenn plötzlich ein Medium sich erlauben würde, einen anderen Standpunkt zu vertreten, würde das jeder als nicht akzeptabel empfinden! Der Feind wurde gefunden, da ist er, nun muss man ihn beseitigen, und die gesamte Maschinerie und jede erdenkliche Kraft wird in Bewegung gesetzt, um das Problem zu lösen. Genauso verstehe ich, was gerade geschieht.
Alexey Tikhonov: Dennoch können wir feststellen, dass das Regime versucht, sich von allen mehr oder weniger demokratischen Institutionen zu befreien, während die gleichen Institutionen dem Präsidenten in bestimmten Augenblicken die persönliche Immunität hätten garantieren können – im Gegenzug zu seiner Abreise. Und heute ist der Elbassy von Leuten umgeben, die ihm im Prinzip diese Garantien bieten sollten, die ihn aber verraten könnten (oft hat man solche Situationen in sowjetischer Zeit wahrgenommen).
Leila Khrapunova: Das ist sicher richtig. Um auf die Einweihung des Nazarjew-Zentrums vom 19. November und des ATOM-Projekts zurückzukehren, würde ich sagen, dass man hier zwei wichtige politische Figuren sieht, die bereits als Politiker ihre Effizienz und Nützlichkeit für Nazarbajew bewiesen haben und das besonders während der Regelung, der im Rahmen der sogenannten Kazakhgate-Affaire stattgefundenen Probleme. Ich spreche von Kanat Saudabajew, der lange Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika gearbeitet hat und von Kassym-Jomart Tokajew, der damit beauftragt wurde, dieses Problem zu lösen. Einmal mehr zählt Nazarbajew heute auf die Wirksamkeit seiner Politiker, die ihm bereits zuvor geholfen hatten, die Probleme des Kazakhgate zu lösen. Nun stellt sich die Frage: Warum haben diese beiden Männer die Schweiz gewählt, um dort ein Projekt von solch einer nationalen Tragweite zu starten? – Tatsächlich wurden große Vermögenswerte, die seiner Tochter Dianara und ihrem Mann Timur Kulibajew gehören, auf Schweizer Bankkonten beschlagnahmt.
Es ist möglich, dass diese politischen „Schwergewichte“ Kasachstans in der Lage gewesen wären, das Problem des Nursultan Nazarbajew zu lösen, das er mit dem in der Schweiz angelegten Geld hatte. Sie haben daher beschlossen, den politischen Einsatz mit den wirtschaftlichen Interessen zu vereinen, deshalb erfahren wir hier von der Einführung des ATOM-Projekts. Jeder weiß, dass viele Wissenschaftler aus der ganzen Welt in der Schweiz konzentriert sind, die außerdem Vertreter der wirtschaftlichen Oligarchie anzieht. Diese Politiker sind sichtlich darum bemüht, die persönlichen politischen Interessen und die Ambitionen Nazarbajews mit den wirtschaftlichen Versprechen in Kasachstan zu verbinden.
Die Situation ist noch zynischer, als es unter der Ägide einer “heiligen internationalen Mission” des Präsidenten Nazarbajew, großer Meister der Denuklearisierung, sein könnte. Was wurde unter seiner Führung als Präsident für sein Gebiet getan, das so sehr unter den nuklearen Tests gelitten hat? Nichts wurde getan, weder für die Bewohner von Semipalatinsk noch für die Bevölkerung von Ost-Kasachstan. Die Schließung des nuklearen Polygons war in Wirklichkeit eine wichtige Leistung des kasachischen Volkes.
Deshalb können wir uns die Frage stellen, ob die von Nazarbajews Entourage erarbeiteten politischen Initiativen aktuell sind und ob sie nicht das Begehen neuer Fehler verursachen. Handelt es sich um eine, an Kanat Saudabajew und Kassym-Jomart Tokajew gerichtete, Anweisung, die Verantwortung für dieses Programm zu übernehmen, oder war es eine von diesen Politikern vorgeschlagene Initiative, um dem Führer der Nation zu gefallen und ihn von seiner perfekten Loyalität und Hilfsbereitschaft zu überzeugen? – Wir können es nicht genau sagen, für den Augenblick bleibt dies ein Geheimnis. Auf jeden Fall ist es klar, dass die kasachische Macht versucht, die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft „zu kaufen“, indem ihre politischen Ambitionen mit diesem von Kasachstan gestarteten Denuklearisierungsprogramm verbunden werden und an dem andere Staaten teilnehmen können. Als ich ein Kind gewesen bin und mit meiner Familie in Ost-Kasachstan lebte, habe ich diesen atomaren Pilz gesehen. Wir haben sehr wohl in dieser Region gelebt, wir haben diese Luft eingeatmet, wir haben an den nuklearen Explosionen gelitten. Und wir wollen keine Tränen vergießen oder Wasser auf die Mühle des Führer der Nation gießen, wir wollen nicht dazu beitragen, sein Image zu fördern. Was wir uns wünschen ist, die Interessen unserer Landsleute zu verteidigen und wir würden dem Führer der Nation eine Frage stellen: Da Sie diese Aufsehen erregende politische Initiative starten, antworten Sie zunächst auf die Frage, was Sie in 21 Jahren für dieses Gebiet getan haben? Wie konnten die Kasachen Ihre Aufmerksamkeit empfinden, wie haben Sie dazu beigetragen, ihre Lage einschließlich der finanziellen Situation zu verbessern? Und welches sind die politischen Ambitionen und die politischen Interesse, die Ihre älteste Tochter für diese Region hat?
Alexey Tikhonov: Vielen Dank für dieses sehr interessante Interview. Ich hoffe, dass wir dieses Gespräch fortsetzen können und zwar vor allem im Hinblick auf den Beitrag von Nursultan Nazarbajew mit Bezug auf „den Planeten vor der Bedrohung eines nuklearen Holokaustes zu befreien“, um es mit den Worten eines in der New York Times erschienen Artikels zu sagen.