Am neunten April diesen Jahres rief mich meine Schwester aus dem östlichen Kasachstan an. Sie teilte mir mit, dass mein 1976 geborener Neffe Dmitrii Vladimirovich Striapchev unter unbekannten Umständen ums Leben gekommen sei. Er war der Sohn unserer leiblichen Schwester Anna, die im Februar 2009 gestorben ist.
Dmitrii hat im Jahr 2003 ein Studium des Elektroingenieurwesen am Institut für Energiewirtschaft und Kommunikationstechnik in Almaty abgeschlossen. Er war mit Irina Striapcheva verheiratet und hatte mit ihr zwei Kinder – Julia, geboren im Jahr 2000, und Barbara, im Jahr 2011; sie lebten in Ust-Kamenogorsk.
Dmitrii arbeitete für den kasachischen Stromnetzbetreiber, der von Timur Kulibaev, dem Schwiegersohn des Präsidenten Kasachstans, kontrolliert wird. Dmitrii wurde gut bezahlt; seine Frau arbeitete in der Verwaltung eines Fitness- und Rehabilitationszentrums. Aber auf einmal wurde Dmitrii ohne Erklärung von Gründen aus der Firma entlassen. Man sagte ihm einfach, dass er ein Verwandter von Khrapunov sei, und dass dies schon ausreiche.
Mich rief jemand an, der damals als Direktor der Firma arbeitete, und sagte, dass er die Anweisung bekommen habe, meinen Neffen zu entlassen, und dass er nichts machen könne. Mittlerweile arbeitet diese Person auch nicht mehr in der Firma und hat Kasachstan ganz verlassen. Es steht zu vermuten, dass er, ein ausgezeichneter Fachmann, aufgrund des Telefongesprächs mit mir aus seiner Position entlassen wurde. So wurde Dmitrii arbeitslos. Seine Frau Irina war schon früher aus den gleichen Gründen entlassen worden, so dass die Familie ohne Lebensunterhalt dastand.
Um seine Familie zu ernähren, begann Dmitrii damit, seinem Vater zu helfen, der schon viele Jahre Unternehmer in der Privatwirtschaft war. Am achten April kam Dmitrii nach Hause und machte sich wieder auf den Weg, um irgendjemanden zu treffen, aber er versprach in anderthalb Stunden wieder zurück nach Hause zu kommen. Aber er kam nicht nach Hause zurück und war auch auf dem Mobiltelefon nicht zu erreichen. Seine Frau rief alle Verwandten und Bekannten an, aber ohne jeden Erfolg.
Und am nächsten Tag rief der Wachmann einer Gemeinschaftsgarage an, der Dmitrii in der Garage, die ihm gehörte, ohne Lebenszeichen gefunden hatte. Die bestürzte Irina eilte zu der Garage. Dort waren schon Mitarbeiter der Polizei, die darum baten den Leichnam des Ehemannes zu identifizieren, und die ihn in die Leichenhalle brachten, um eine gerichtsmedizinische Untersuchung zur Ermittlung der Todesursache durchzuführen. Auf Dmitriis Mobiltelefon war eine nicht abgeschickte SMS: “Ich wollte nur Gutes tun.”
Aber den Umständen nach zu urteilen, wollte Dmitrii eindeutig nicht sterben. Er hatte Zukunftspläne. Er sollte sich am Samstag, dem 13. April, mit seinem Vater treffen. Außerdem hatte Dmitrii mit dem Direktor einer Firma abgesprochen, dass er am Montag, den 15. April, eine neue Arbeit beginnen würde.
Am 10. April 2013 bekam Irina eine Bescheinigung über den Tod ihres Mannes, in der keine Todesursache angegeben war. Auf alle Fragen von Irina antwortete man ihr, dass die Bescheinigung auf einem Standardformular ausgestellt wurde. Darüber hinaus konnte sie nichts erreichen.
Am 11. April 2013 wurde Dmitrii beerdigt. Im Mai wäre er 37 Jahr alt geworden…
In dieser Geschichte bleiben viele Fragen offen. Vor allem, wieso man den Verwandten nicht die Schlussfolgerungen der gerichtsmedizinischen Begutachtung gegeben hat. Warum wurden keine strafrechtlichen Ermittungen hinsichtlich des Todes von Dmitrii Vladimirovich Striaepchev aufgenommen? Warum wurden die Personen nicht befragt, mit denen Dmitrii an seinem Todestag und am Vortag gesprochen hatte? Warum wurde nicht untersucht, wer die SMS verfasst hatte – Dmitrii selbst oder jemand anders? Warum wurde die Person, mit der Dmitrii sich hatte treffen sollen, nicht identifiziert? Warum wurde der Körper des Verstorbenen nicht auf Spuren eines gewaltsamen Todes untersucht?
Diese Fragen zu beantworten ist umso dringender, nachdem ein Versucht unternommen worden ist, nahe Verwandte, die zur Beerdigung von Dmitrii gekommen waren, illegalerweise in Kasachstan festzuhalten. Auf die legitimen Fragen: Wieso versuchen Sie die Ausreise zu verhindern? Aufgrund von wessen Anweisung versuchen Sie eine illegale Festnahme durchzuführen? gab niemand am Flughafen eine überzeugende Antwort. Die Vertreter aller Behörden, die im Einklang mit kasachischen Gesetzen das Recht haben, die Bewegungsfreiheit einzelner Kategorien von Bürgern einzuschränken, kamen zu der Schlussfolgerung, dass Sie der Ausreise nicht im Weg stehen würden. Das wurde gesagt, damit man keine überflüssigen Fragen stellte. Nur dank der Hartnäckigkeit der Anwälte gelang es, diese Situation irgendwie zu regeln.
Die Mächtigen in Kasachstan hofften anscheinend, dass ich heimlich zur Beerdigung meines Neffen fahre, und dass es ihnen gelingen würde, mich festzuhalten. Aber das realistischere Ziel war vermutlich, meine nahen Verwandten als Geiseln festzuhalten, und mich dann dazu zu erpressen, freiwillig nach Kasachstan zurückzukehren. Ich selbst kann mir all diese Ereignisse nur so erklären.
Viktor KHRAPUNOV