Interview mit Viktor Krapunow.
Das Gespräch führte Galia Ackermann.
Viktor Krapunow – Kasachischer Politiker. Ehemaliger Bürgermeister von Almaty (1997 – 2004), Energieminister (1995 – 1997), Gouverneur des Gebietes Ostkasachstan (2004 – 2007) und Minister für Notstandssituationen (2007).
Galia Ackermann – Journalistin und Essayistin. Expertin für die russische und post-sowjetische Welt, Autorin, unter anderem, von: Tchernobyl. Retour sur un désastre, Folio Gallimard, 2007; Le Roman du Juif universel (mit André Glucksmann und Elena Bonner), Editions du Rocher, 2011.
Kasachstan spielt eine führende Rolle in Zentralasien und im gesamten ehemaligen sowjetischen Raum. Dieser riesige Staat – der weltweit auf Platz neun in Bezug auf seine Oberfläche rangiert – hat nur 16 Millionen Einwohner. Aber er verfügt über immense Reichtümer an Kohlenwasserstoffen und Nichteisenmetallen(1), eine hochentwickelte Bergbau- und Weiterverarbeitungsindustrie, sowie eine durchaus beachtenswerte Landwirtschaft. Das Land, das 1991 in Folge des Zusammenbruchs der UdSSR seine Unabhängigkeit erlangte, wird seit über 20 Jahren von derselben Person geführt: Nursultan Nasarbajew. Der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans (1989-1991), der 1990 zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, hat ein autoritäres Regime errichtet, das im Laufe der Jahre immer härter geworden ist.
Die politischen Persönlichkeiten, die eine bedeutende politische Rolle einzunehmen beabsichtigten, wurden systematisch kaltgestellt, ins Ausland abgeschoben – wie der ehemaliger Premierminister Akejan Kajegueldin (von 1994 bis 1997 im Amt) -, wenn sie nicht umgebracht wurden, zweifellos durch den Geheimdienst, wie Altynbek Sarsenbajew, ehemaliger Sekretär des Sicherheitsrates, der zur Opposition übergelaufen war(2), oder Zamanbek Nurkadilow, ehemaliger Abgeordneter und Minister, der als einer der ersten die zahlreichen Verbrechen und Übergriffe von Seiten der Regierung und des Präsidenten anprangerte(3).
Laut Angaben verschiedener internationaler Nicht-Regierungsorganisationen wie Freedom House oder Reporter ohne Grenzen gehört Kasachstan zu den am schlechtesten eingestuften Länder bezüglich der Pressefreiheit(4). Der einzige unabhängige Fernsehkanal , „K+“, kann nur über Internet oder sehr kostspielige Spezialantennen gesehen werden. Die Behörden blockieren systematisch Internetseiten der Opposition, und die Gesetzgebung zum Medienbetrieb ist ausgesprochen repressiv. Mehr als die Hälfte der Kasachen haben ohnehin keinen Zugang zum Internet, und wer sich verbinden kann, hat keine Breitbandverbindung.
Trotz der kolossalen unterirdischen Reichtümer, lebt die Bevölkerung Kasachstans schlecht. 40 % der Haushalte verdienen nicht mehr als 400 Dollar im Monat. Die Hälfte dieser Familien, die auf kleinem Raum leben, geben sich sogar mit weniger als 200 Dollar im Monat zufrieden. In diesem Land, in dem fast alle gängigen Konsumgüter importiert werden und in dem, aufgrund der Korruption, für Dienstleistungen wie medizinische Versorgung und Schulbildung, die eigentlich umsonst sein sollten, bezahlt werden muss, sind solche Einkünfte mit Armut gleichzusetzen.
Im Gegenzug kann der Lebensstandart des Präsidenten und seines Umfeldes geradezu als königlich bezeichnet werden. Laut mehrerer Quellen beläuft sich das Guthaben des Klans auf 30 Milliarden Dollar(5). 2007 kaufte Timur Kulibajew, der Schwiegersohn Nasarbajews, das Familienanwesen von Prinz Andrew in Berkshire im Wert von 15 Millionen Pfund. Seine Frau Dinara (Tochter des Staatschefs), deren Vermögen von Forbes auf 2,1 Milliarden Dollar geschätzt wird, erwarb 2009 einen Wohnsitz am Genfer See für 74,7 Millionen Schweizer Franken, ein historischer Höchstpreis in der Genfer Immobilienbranche.
Wie haben die Nummer Eins Kasachstans und die Personen aus seinem Umfeld derartige Reichtümer angehäuft? Wie hat sich das Land, das zu Beginn der 90er Jahre einen Demokratisierungsprozess einzuleiten schien, in eine Diktatur verwandelt? Wie wurde die Opposition aus dem politischen Feld verdrängt? Viktor Krapunow, ehemaliger kasachischer Politiker auf höchster Ebene, liefert uns seine Antworten in diesem Exklusiv-Interview.
Der 1948 geborene Herr Krapunow machte zur Zeiten der Sowjetunion eine glänzende Karriere in der Industrie und Verwaltung. Nachdem Kasachstan 1991 die Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde er schnell in die höchsten Kreise des Staates aufgenommen. Als Bürgermeister von Almaty (der größten Stadt des Landes), Minister für Bergbau und Energie, Gouverneur des Gebietes Ostkasachstan und Minister für Notstandsituationen, zählte er 17 Jahre lang zur Spitze der nationalen Nomenklatura. In dieser Position konnte er von innen die schrittweise Verwandlung seines Landes beobachten.
Viktor Krapunow, der Ende 2007 ins Exil gezwungen wurde und, wie so viele andere Männer der kasachischen Opposition(6), von der Justiz seines Landes wegen „Betrugs“ verfolgt wird, zeichnet hier ein beeindruckendes Bild eines Landes, das dem Machthunger seines Führers ausgeliefert ist.
Galia Ackermann
Gaila Ackerman – Als Abgeordneter des Obersten Sowjets gegen Ende der sowjetischen Ära konnten Sie den Aufstieg des derzeitigen Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, aus nächster Nähe beobachten. Können Sie uns erklären, wie dieser ehemalige kommunistische Parteifunktionär zum unangefochtenen Herren des Landes wurde?
Viktor Krapunow – Der Aufstieg Nasarbajews erfolgte rasend. 1977, mit 37 Jahren, war er Sekretär der Zelle der Kommunistischen Partei innerhalb des Metallkombinats der Stadt Karaganda – das Karmetkombinat, das zweite Kombinat der Sozialistischen Sowjetischen Republik Kasachstan nach dem Kombinat von Magnitogorsk. Er hatte zuvor keine Möglichkeit auf einen schnellen Aufstieg gehabt. Aber es bot sich ihm eine einzigartige Möglichkeit. Ein einflussreicher Journalist, Michael Poltoranine (der ebenfalls eine große Karriere machen sollte, da er später Presseminister Russlands wurde(7)), schrieb einen außerordentlich kritischen Artikel über die Funktionsstörungen und schwache Rentabilität des Karmetkombinats. Er beklagte vor allem die veraltete Einrichtung und die Tatsache, dass die Fabrik mit Erz aus dem tausende Kilometer entfernten Krivoi Rog, in der Ukraine, beliefert wurde. Poltoranine wollte den Artikel nicht mit seinem Name unterzeichnen, da er fürchtete, den Zorn Breschnjews auf sich zu ziehen. Die Regionaldirektion der Partei wünschte jedoch eine Verbesserung der Situation des Karmetkombinats. Der Artikel musste daher unbedingt erscheinen. Man schlug also Poltoranine vor den Artikel mit Nasarbajews Namen zu unterzeichnen: in seiner Stellung riskierte er nicht all zu viel. Nasarbajew war einverstanden und der Artikel erschien in der Pravda. Unerwarteterweise zeigte Breschnjew eine äußerst positive Reaktion: nachdem er die Zeitung gelesen hatte, rief er den Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans, Dinmukhamed Kunajew, an und empfahl die Beförderung des Autors, eines so intelligenten und kompetenten jungen Mannes! Kunajew beförderte Nasarbajew umgehend zum zweiten Sekretär der Kommunistischen Partei der Region Karaganda und eine neue Beförderung folgte rasch: 1979 wurde Nasarbajew Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans, zuständig für die Industrie. Und es war ein logischer Schritt, dass es 1984, unter Andropow, zum Ministerpräsidenten Kasachstans ernannt wurde.
G. A. – Er gab sich damit jedoch nicht zufrieden…
V. K. – In der Tat. Als Michael Gorbatschow 1985 in das höchste Amt aufstieg, beschloss dieser schnell sich Kunajews zu entledigen, der wie ein lokaler Breschnjew seit 22 Jahren im Amt war und in der Republik große Autorität genoss. Und nach bester sowjetischer Tradition schlug er Nasarbajew vor, Kunajew der öffentlichen Kritik auszusetzen, damit letzterer 1986 vom XVI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kasachstans des Amtes enthoben wurde. Nasarajew kam dieser Aufforderung nach. Ungerührt hielt er vor dem Kongress eine vernichtende Rede gegen den Mann, dem er seine gesamte Karriere verdankte. Zunächst scheiterte diese List: trotz Nasarbajews Schmährede stimmten Kunajew-treue Parteifunktionäre für seine Wiederwahl. Einige Monate später musste Kunajew jedoch unter dem Druck Moskaus zurücktreten. Nasarbajew hoffte darauf, seinen Posten zu übernehmen. Aber er sollte enttäuscht werden: im Dezember 1986 entschied Gorbatschow, einen hohen russischen Funktionär an die Spitze Kasachstans zu ernennen, Guennadi Kolbine – was später zu den ersten Unruhen in der Zeit der Perestroika führte. Die studentische Jugend forderte einen Generalsekretär lokaler Herkunft und keinen Abgesandten aus Moskau.
G. A. – Wie reagierte Nasarbajew?
V. K. – Er führte seine Schachzüge im Hintergrund aus. Mehrere Jahre lang drang er auf Gorbatschow ein, Kolbine woanders hin zu versetzen. Das weiß ich von Gorbatschow persönlich. Schließlich ernannte Gorbatschow Kolbine auf einen anderen Posten. Und damit sind wir im Jahr 1990 beim XVII. Parteitag der Kommunistischen Partei Kasachstans. Wir sollten einen neuen Vorsitzenden wählen (zu dieser Zeit war ich Mitglied des Zentralkomitees). Nasarbajew, mit seinem unleugbarem Charisma, hatte den Geist der Zeit gut erfasst: er sprach sich entschlossen für die demokratischen Reformen aus. Er wurde daher zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans gewählt. Ein Jahr später wurde in Kasachstan, wie in fast allen Republiken, das Amt des Präsidenten der Republik eingeführt, dessen Amtsinhaber vom kasachischen Parlament gewählt werden sollte. Es war ganz natürlich, dass Nasarbajew in dieses Amt gewählt wurde.
G. A. – Was geschah nach dem Zerfall der UdSSR?
V. K. – Am 16. Dezember 1991 wurde die Unabhängigkeit Kasachstans ausgerufen. Infolgedessen musste erneut ein Präsident gewählt werden. Aber dieses Mal mit allgemeinem Wahlrecht. Nasarbajew verkörperte die Hoffnung vieler Leute, vor allem der Jugend. Er steigerte seine dröhnenden Reden gegen die sowjetische Führung und gegen die Gerontokratie, die innerhalb der Partei vorherrschte, er prangerte die Stagnation und das Einparteiensystem an, er versprach eine schnelle demokratische Entwicklung, und so weiter. Auf dieser demokratischen Welle reitend, wurde er zum Präsident des unabhängigen Kasachstan gewählt.
G. A. – Wie hat er begonnen, seine persönliche Macht zu stärken?
V. K. – Sein erster Schritt in diese Richtung war ganz einfach: er veränderte die Verfassung der Republik Kasachstan, die 1993 angenommen worden war. Die ersten Änderungen wurden ab 1995 per Referendum vorgenommen. Die ursprüngliche Verfassung sah vor, dass der Präsident nicht mehr als zwei Mandate übernehmen konnte. Dieser Artikel wurde abgeschafft. Gleichzeitig besetzte Nasarbajew staatliche Schlüsselstellen mit Vertrauten aus seinem Umfeld, so dass er letztendlich alle wichtigen Hebel der Macht kontrollierte. Heute werden die Chefs der nationalen Sicherheitsdienste (Militär, Polizei, Geheimdienst, usw. ) sowie der Generalstaatsanwalt, der Präsident des Obersten Gerichtshofes und die Richter auf allen gerichtlichen Ebenen vom Präsidenten ernannt. Die Gerichte haben ihre Unabhängigkeit verloren, da die Richter in Abhängigkeit zum Präsidenten stehen. Es gibt kein Verfassungsgericht mehr. Dieses wurde durch einen Verfassungsrat ersetzt, der von einem Präsidenten und zwei Vize-Präsidenten geführt wird. Und selbstverständlich werden diese drei vom Staatschef ernannt. Das ist aber noch nicht alles: der Präsident erwählt auch, mit Zustimmung des Parlaments, den Ministerpräsidenten. Und nicht zu vergessen all die Minister, Gouverneure und Bürgermeister, die durch Erlass des Präsidenten ernannt werden!
G. A. – Wurden all diese Maßnahmen im Zuge der Verfassungsänderung von 1995 vorgenommen?
V. K. – In den folgenden Jahren wurde die Verfassung noch mehrmals zugunsten der Interessen des Präsidenten verändert, aber die Veränderungen waren moderater als die von 1995. Zum Beispiel: da der Präsident auf 65 zuging, wurde ein Artikel der Verfassung abgeschafft, nach dem der Staatschef zum Zeitpunkt seiner Wahl oder Wiederwahl nicht älter als 65 sein dürfte. Da Nasarbajew die Konkurrenz der Jungen fürchtete, hob er außerdem das Mindestalter der Präsidentschaftskandidaten von 35 auf 40 an.
Im Grunde genommen wurde die Verfassung jedes Mal erneuert, wenn der Fortbestand Nasarbajews Macht bedroht schien. So wurde 2010 das „Gesetz zum ersten Präsident und Führer der Nation“ verabschiedet. Nasarbajew hat sich den Titel „Führer der Nation“ auf Lebzeiten angemaßt, wie der Ayatollah Khomeini im Iran oder ein Muammar al-Gaddafi in Libyen. Der Führer besitzt praktisch uneingeschränkte Macht: sollte eines Tages ein anderer Präsident gewählt werden, wird dieser nur eine Marionette Nasarbajews sein. Und um das Maß voll zu machen und jegliche unerwünschte Entwicklung zu vermeiden, wurde ein Gesetz erlassen, demzufolge der nachfolgende Präsident nur zwei Ämter bekleiden darf, während, wie ich bereits erwähnte, die Zahl der Ämter des ersten Präsidenten, Nasarbajew, unbegrenzt ist. Überdies garantiert seine Stellung als Führer der Nation, dass er die wirkliche Macht bis zu seinem Lebensende ausüben wird.
G. A. – Sie beschreiben ein perfekt abgesichertes System. Aber warum hat dann Nasarbajew eine vorgezogene Präsidentschaftswahl für April 2011 beschlossen?
V. K. – Die Wahl war für Ende 2012 oder Anfang 2013 vorgesehen. Bis dahin hätte sich die Opposition vorbereiten und einen würdigen Kandidaten präsentieren können, der glaubwürdig und in der Lage gewesen wäre, die Bevölkerung zu mobilisieren(8). Daher machte der Rektor der Technischen Universität Ostkasachstan, Nurlan Temirbekow, der immer für die „heiklen“ Aufgaben zuständig war – ich kenne ihn gut – in der Öffentlichkeit den Vorschlag, ein Referendum zu organisieren, zur Verlängerung des Präsidentschaftsmandats bis 2020 ohne Wahl. Das Parlament nahm das Gesetz zur Volksabstimmung an… aber genau zu diesem Zeitpunkt begann der Arabische Frühling in Nordafrika und dann im Nahen Osten. Washington warnte Kasachstan, dass das Abhalten des Referendums ein Rückschritt der Demokratie bedeuten würde. Nasarbajew ruderte sofort zurück: er unterzeichnete das Gesetz zur Volksabstimmung nicht und leitete es an den Verfassungsrat weiter, der erklärte, ein solches Referendum „verletze die Wählerrechte“. Der Präsident wandte sich daraufhin an die Parlamentarier. Er erklärte ihnen, dass das Abhalten der Volksabstimmung eine negative Reaktion der internationalen Gemeinschaft hervorgerufen hätte. Aus diesem Grund war das Einzige, was er ihnen versprechen konnte, eine vorgezogene Präsidentschaftswahl. Wohlgemerkt, dies war lediglich eine List, um die Opposition zu überrumpeln. Das Gesetz zur vorgezogenen Wahl wurde verabschiedet, die Wahl fand im April 2011 statt und Nasarbajew – welche Überraschung! – erhielt um die 95,5 % der Stimmen im ersten Wahlgang. Natürlich hatten sich der Form halber drei weitere Kandidaten aufstellen lassen, aber diese waren lediglich Marionetten, zahm wie Lämmer. Einer von ihnen, Mels Eleusizow, ging so weit, öffentlich zuzugeben, dass er für Nasarbajew gewählt hatte(9).
G. A. – Aber die Tatsache, dass 90 % der Bürger für Nasarbajew gestimmt haben zeigt doch, dass er wirklich beliebt ist! Oder wurden die Ergebnisse vielmehr grob gefälscht?
V. K. – Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass die Zahlen weit vom tatsächlichen Ergebnis entfernt sind. Laut unabhängiger Beobachter, die ihre Meinung über den Fernsehsender K+ und in anderen Oppositionsmedien äußern konnten, hat das Volk nicht so einstimmig für Nasarbajew gestimmt, wie dies in kommunistischen Zeiten üblich war(10).
G. A. – Sie waren von 1997 bis 2004 Bürgermeister von Almaty und sind daher mit den verschiedenen, in Kasachstan geltenden Wahlmechanismen vertraut. Welche Methoden, außer der Urnenbefüllung, wenden die Herrschenden ihrer Meinung nach noch an, um die gewünschten Ergebnisse zu sichern?
V. K. – In Almaty bin ich mit der Situation auf folgende Weise umgegangen: Jeder Bezirk hatte einen Verantwortlichen, der wiederum verantwortliche Personen für jedes Gebäude ernannte. Diese Abgesandten kannten jeden Bewohner persönlich und wussten sehr gut, was jeder einzelne benötigte: manchen wurden Nahrungsmittel angeboten, man half anderen dieses oder jenes verwaltungstechnische Problem zu lösen, usw. Die Leute waren dankbar, gingen zur Wahl und gaben ihre Stimme normalerweise den Kandidaten der Regierung. Wir wusste auch, wer die überzeugten Gegner Nasarbajews waren und versuchten erst gar nicht, Druck auf sie auszuüben. Sie waren sowieso in der Minderheit. Aber ich glaube, dass sich die Situation seit 2004 sehr verschlechtert hat: die eindeutig autoritären Tendenzen der Regierung verärgern eine wachsende Zahl der Bürger. Das Regime muss daher auf umfangreiche Fälschungen zurückgegriffen haben, um so „schöne“ Ergebnisse zu erzielen.
G. A. – Gehen wir nun zum wirtschaftlichen Bereich über. Im Westen ist wenig darüber bekannt, wie die Privatisierungen in Kasachstan vor sich gingen. Diese Geschichte verdient es jedoch erzählt zu werden…
V. K. – Heutzutage wird gern behauptet, dass die Wirtschaft Kasachstans nach dem Zusammenfall der UdSSR in eine tiefe Krise gestürzt ist: die Unternehmen und die Landwirtschaft funktionierten nicht mehr, die Regale in den Geschäften waren leer, usw. Dank meiner langjährigen Erfahrung als Staatsmann bin ich aber in der Lage zu behaupten, dass die Landesführung absichtlich Maßnahmen zur Abwertung des industriellen und landwirtschaftlichen Kapitals Kasachstans eingeleitet hat um sich dieses später billig an sich zu reisen.
G. A. – Können Sie Beispiele geben für das was sie vorbringen?
V. K. – Natürlich. Es gab einen großen Industriekomplex namens Djezkazgantsvetmet, was so viel wie „kostbare Metalle von Djezkazgan“ bedeutet. Dieser Komplex produzierte hochwertiges Kupfer und seine Produktion war sehr gefragt. Warum erwies sich die Direktion als unfähig die laufenden Verträge zu erfüllen, neue Aufträge an Land zu ziehen, die Produktion zu verkaufen und auf diese Weise den Fortbestand des Unternehmens zu sichern? Ein anderes Unternehmen, Balkhachmed, „das Kupfer von Bakhach“, das in der sowjetischen Ära gut lief, stellte unvermittelt die Produktion ein. Die Führung wurde entlassen und einige erhielten sogar Haftstrafen. Da kann man sich auch fragen, weshalb. Es gibt zahlreiche derartige Beispiele. Die Privatisierung dieser beiden Unternehmen – sowie anderer Betriebe – war selbstverständlich unumgänglich, da man finanzielle Mittel auftreiben musste, um den Staatsbetrieb zu finanzieren. Das Problem liegt darin, dass, ich wiederhole dies, der Preis für diese industriellen Vorzeigeunternehmen zu niedrig angesetzt wurde.
Dies alles spielte sich zu Beginn der 1990er Jahre ab. Nasarbajew hatte immer noch den Ruf eines demokratischen und charismatischen Führers. Damals unterhielt er sehr enge Verbindungen zu Roh Tae-woo, dem Präsidenten Südkoreas. Er führte regelmäßig das südkoreanische Wunder an. Es schien, als würde dieses Staatsmodell perfekt zu uns passen. Und so kam es, dass ein Chinese südkoreanischer Herkunft, Doktor Chan Young Bang, der wirtschaftliche Berater Nasarbajew wurde und damit beauftragt wurde, die Planung für die Privatisierung auszuarbeiten. Das vom Präsidenten angekündigte Projekt war wunderbar: jeder Bürger würde seinen Anteil an den nationalen Reichtümern des Landes erhalten, nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Doktor Bang führte die „PIK“ ein: Privatisierungs- und Investitionsscheine. Gemäß dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit sollte jeder Bürger Kasachstans, entsprechend seines „Beitrags zur Wirtschaft des Landes“ (ein Begriff, der das Dienstalter und andere Bewertungskriterien mit einschloss), einen Gutschein erhalten, der ihm das Anrecht verleihen würde, Miteigentümer eines Industrieunternehmens oder eines landwirtschaftlichen Betriebs zu werden. Diese Scheine wurden unter der Bevölkerung verteilt. Um zu verhindern, dass sie in falsche Hände gerieten ordnete der Staatschef an, spezielle Investmentfonds zu gründen. Diese Einrichtungen sammelten die PIK ein und versprachen deren Eigentümern, dass diese Zinsen abwerfen würden. Es gab sogar einen Wettbewerb unter den Investmentfonds um die meisten PIK. Die Kasachen glaubten, dass sie wirklich Geld verdienen würden. Und dann hatten die Chefs dieser Fonds plötzlich legale Probleme. Einige mussten wegen „Betrugs“ ins Gefängnis. Und schließlich wurden alle diese Fonds geschlossen und von „sozial gerechter Privatisierung“ wurde niemals mehr etwas gehört. Niemand erhielt Eigentum an seinen Anteilen: das alles wurde zwischen dem Präsidenten und seinen Vertrauten „aufgeteilt“. So wurde beim Übergang zur Marktwirtschaft die Idee, gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, von Anfang an beeinträchtigt.
G. A. – Was wurde aus den PIK? Verschwanden die einfach?
V. K. – Genau. Ich selbst hatte PIK, habe aber nichts erhalten –nicht einmal den kleinsten Anteil an irgendeinem Unternehmen, nicht das kleinste Stück an einer Pipeline, nicht einen einzigen Cent. Nachdem sich die PIK in Luft aufgelöst hatten, begann man ein neues Kapitel: man könnte diese Phase „Familienprivatisierung“ nennen. Die Familie des Präsidenten beschloss, sich die Nichteisenmetallurgie Kasachstans (das aus den Prunkstücken wie Djezkazgantsvetmet, dem Blei- und Zinkkombinat Balkhachmed oder auch dem Titan- und Magnesiumkombinat von Oust-Kamenogorsk bestand), aber auch das Eisenlegierungswerkes von Ermakow (das weltweit zweitgrößte nach einem Werk in Südafrika), die Metallwerke, das Karmetkombinat und noch weitere unter den Nagel zu reißen. Sie hatte auch ein Auge auf den Öl- und Gassektor geworfen. Der Präsident setzte alles daran, um den Personen aus seinem Umfeld die Kontrolle über diese gigantischen Reichtümer zu verschaffen.
G. A. – Was tat er genau?
V. K. – Nasarbajew hatte in seinem Umfeld einen erstklassigen Financier, einen Verwandten seiner Frau, Syzdyk Abischew(11). Dieser schuf eine Gesellschaft namens Kazakhintorg (Außenhandel Kasachstans) mit Niederlassungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Über diese Niederlassungen begann er die Produktion der großen Industriekomplexe ins Ausland zu verkaufen: er kaufte die Unternehmen zu Niedrigpreisen auf – diesen fehlten kompetente Führungskräfte, um sich alleine in der großen Welt durchzubeißen – und verkaufte sie im Westen zu internationalen Marktpreisen. Die Differenz wanderte in die Taschen des Präsidenten und seiner Familie. So wurde das Ausgangskapital angehäuft, das es später dem Umfeld Nasarbajews ermöglichte, praktisch die gesamte Industrie des Landes zurückzukaufen.
G. A. – Sie behaupten also, Personen aus dem Umfeld des Präsidenten haben die Prunkstücke der kasachischen Industrie aufgekauft?
V. K. – Der Präsident selbst, seine Familie oder Vertraute. Ich werde dies an einem konkreten Beispiel zeigen. Die Industrie der Nichteisenmetalle war in der sowjetischen Ära ein weit entwickelter Industriezweig. Das Nichteisenmetallkombinat Oust-Kamenogorsk war in diesem Bereich das führende Unternehmen in der UdSSR. Das Zink, Gold oder Kupfer aus diesem Kombinat wurden als Standardmaße an der Londoner Börse anerkannt. Um sich dieser Industrie zu bemächtigen – dieses Kombinates aber auch der Werke und der Minen von Zyrianovsk, Leninogorsk, Beloüssovka, Berezovka, in einem Wort alle, die in der Nichteisenindustrie betrieben wurden – , verkaufte sie der Präsident für einen Apfel und ein Ei, über Abischew und andere Strohmänner, an Glencore, eine Makler- und Handelsfirma für Rohstoffe mit Sitz in der Schweiz(12).
G. A. – Was war dabei das Interesse des Präsidenten?
V. K. – Zwar verkaufte er all diese Unternehmen an Glencore zu einem äußerst niedrigen Preis, aber er sicherte sich Anteile in Form von „Kommissionen“ und „Beteiligungen“.
G. A. – Darf der Präsident Anteile an solchen Unternehmen halten?
V. K. – Nicht auf legalem Wege, aber durch Mittelsmänner. Das ist eine klassische Methode. Ich war bei einem Treffen zwischen Vertretern von Glencore und dem Staatschef 1995 dabei. Damals war ich Gouverneur von Ostkasachstan. Nasarbajew liebte es, sich dort zu erholen und Verjüngungskuren zu machen. Der Präsident von Glencore kam, und sie besprachen ihre Beziehungen bis ins kleinste Detail.
G. A. – Djezkazgantsvetmet und Balkhachmed, diese Prunkstück,e von denen sie gesprochen haben, wurden diese auch an Glencore verkauft?
V. K. – Nein, und zwar aus einem einfachen Grund: man setzt nicht alles auf die gleiche Karte. Der Präsident schuf eine Gesellschaft, Kazakhmys, und setzte an dessen Spitze Vladimir Kim, den Mann seines Vertrauens, der zuvor in der Regierung in Almaty gearbeitet hatte(13). Kazakhmys bemächtigte sich Djezkazgantsvetmet und Balkhachmed, als diese privatisiert wurden. So gingen diese Industrieriesen de facto in den Familienbesitz über.
Das ist aber nicht alles. Ein weiteres Unternehmen erschien auf dem kasachischen Markt: Japan Chrome. Dieses wollte die Unternehmen im Sektor der Nichteisenmetalle aufkaufen. Der Vertreter stellte sich den ausländischen Anlegern und sprach sogar im nationalen Fernsehen. Er war ein Typ, der wie ein Japaner aussah und Japanisch sprach. Aber als der japanische Botschafter öffentlich erklärte, dass ein solches Unternehmen in seinem Land nicht existierte, gab es einen Skandal und man hörte nie wieder etwas von Japan Chrome. Nach diesem Fiasko nahm der Präsident den Eurasischen Industrieverband in Anspruch, der sich des Eisenlegierungswerkes in Ermak, das Stromkraft in Ermak, sowie der Kohlegruben „Vostotchny“ und „Bogatyr“, die jährlich 18 Millionen Tonnen Kohle produzieren, ermächtigte.
G. A. – Wobei handelt es sich bei diesem Verband?
V. K. – Es handelt sich um eine Gruppe von Geschäftsmännern. Sagen wir, es sind die kasachischen Oligarchen, die ihr Kapital und ihre Profite mit dem Präsidenten teilen. Es handelt sich dabei in erster Linie um Patokh Schadijew, Alijan Ibrahimow und Alexandre Maschkevitsch(14). Ich wiederhole: das Schema ist einfach. Man wertet den Vermögenswert eines Unternehmens mit großem Industriepotential ab, ernennt an dessen Führungsspitze einen Vertrauten, und privatisiert es dann, so dass es von der Präsidentenfamilie kontrolliert wird.
G. A. – Sie haben auch vom Öl- und Gassektor gesprochen…
V. K. – Das gleiche Schema trifft auch hier zu. Auf diese Weise wurde das Unternehmen KazMounaïgaz gegründet, das sich nahezu des kompletten Öl- und Gassektors bemächtigt hat. Der Schwiegersohn des Präsidenten, Timur Kulibajew, ist dabei der wahre Meister(15). Und dann darf man auch nicht die Stahlindustrie vergessen. Das Prunkstück dieser Industrie, das Karmetkombinat, wurde an Mittal verkauft; aber es ist allgemein bekannt, dass der Präsident über Mittelsmänner einen nicht unbedeutenden Anteil der Aktien besitzt.
G. A. – Sie waren von 1995- 1997 Energieminister. Wie wurde die Privatisierung in diesem Sektor gehandhabt?
V. K. – Ich erwähnte bereits, dass das Stromkraftwerk von Ermak (die Stadt wurde umbenannt und heißt seit dem Aksu), das eine Leistung von 2,7 Megawatt hat, an den Eurasischen Verband (ENRS) „verkauft“ wurde. Das Kraftwerk von Karaganda-1 wurde an Kazakhmys veräußert und das von Karaganda-2, mit einer Leistung von 400 Megawatt, an Mittal. In diesen drei Fällen waren es Privatisierungen zu Rabattpreisen; aber in anderen Fällen wurde einfach ein Kraftwerk einem Unternehmen zugewiesen. Das Wasserkraftwerk von Buktarma am Irtysch wurde dem Unternehmen Kaztsink („das Zink Kasachstans“) übertragen, um dieses Unternehmen mit billigem Strom zu versorgen. Das Wasserkraftwerk von Djezkazgan wurde Kazakhmys angeboten. Das von Djambul, eines der besten Wasserkraftwerke der UdSSR, mit einer Leistung von 1,2 Millionen Kilowatt, ging, über „Samruk Kazina“, in den Geldbeutel von Timur Kulibajew(16). Schließlich ging das Stromkraftwerk von Ekibastuz auf Verordnung des Präsidenten an die amerikanische Gesellschaft AES.
G. A. – Wie kann man ein Staatsunternehmen „zuweisen“ oder „übergeben“ ohne es überhaupt zu privatisieren?
V. K. – Wenn alle beteiligten Personen einverstanden sind, ist das sehr einfach! Nehmen wir das Kraftwerk von Ekibastuz. In meiner Eigenschaft als Energieminister war ich bei einer Unterredung zwischen dem Präsidenten und dem Geschäftsführer der amerikanischen Gesellschaft AES, M. Davis, anwesend. Anschließend zogen sich die beiden zu einer Besprechung unter vier Augen zurück. Nach diesem „freundschaftlichen“ Treffen wurde dieses Kraftwerk, mit einer Leistung von 4 Millionen Kilowatt, zu der bescheidenen Summe von 5 Millionen Dollar verkauft… Ich konnte nichts dagegen tun: Ich hatte ein Investitionsprogramm in Höhe von 750 Millionen Dollar unterzeichnet. Das war die Summe, die AES in die Entwicklung des Kraftwerks investieren sollte. Ich glaubte, die 5 Millionen Dollar seien lediglich eine Anzahlung, und dass die amerikanische Firma das Kraftwerk auf ihre Kosten modernisieren würde, damit dieses weiterhin die kasachische Wirtschaft effizient versorgen könne. Aber die Dinge liefen anders. Nach meinen neuesten Informationen haben Personen aus dem Umfeld des Präsidenten das Kraftwerk AES für 2 Milliarden Dollar aufgekauft(17).
G. A. – Warum sollte die Familie dies tun?
V. K. – Eine gute Frage. Ich frage mich, ob die Zahlung einer so enormen Summe an eine amerikanische Firma, die nur lächerliche 5 Millionen Dollar für den Kauf des Kraftwerks ausgegeben hatte, nicht ein Mittel für Nasarbajew war, um sich in den USA nach dem Kasachgate-Skandal eine reine Weste zu waschen. Überdies erlaubte diese Investition dem Präsidenten zwei Milliarden Dollar zu waschen, die er auf zweifelhafte Weise erworben hatte.
G. A. – Sprechen wir über Kasachgate…
V. K. – Dieser Skandal platzte 1999, als ich Bürgermeister von Almaty war. Präsident Nasarbajew erfuhr, dass sein ehemaliger Ministerpräsident, Akejan Kajegeldine – der von 1994 bis 1997 im Amt gewesen war, und nach seinem Rücktritt zur Ausreise gezwungen worden war – , dabei war, eine internationale Kampagne gegen ihn aufzuziehen. In seinem Zorn ordnete er dem Geheimdienst an, kompromittierende Informationen über Kajegeldine zu finden. Der Chef des KNB (der kasachische FSB) wandte sich an die Schweizer Justizbehörden, und bat diese, alle Konten, über die Kajegeldine in der helvetischen Konföderation verfügt hatte, aufzufinden. Da nun Kajegeldine Ministerpräsident gewesen war, durchleuchtete die Schweizer Justiz alle kasachischen Konten! So wurden die Konten von Nasarbajew entdeckt, auf denen er 84 Millionen Schweizer Franken deponiert hatte(18). Bernard Bertossa, Generalstaatsanwalt von Genf, sperrte diese Konten und eröffnete eine gerichtliche Untersuchung.
Im Rahmen dieser Untersuchung, entdeckte man auch ein geheimes Schweizer Konto des amerikanischen Bankiers James Griffen – ein Experte für Geschäfte mit meinem Land, mit dem Spitznamen „Mister Kasachstan“. Als Berater und Vertrauensmann Nasarbajews hatte er einen kasachischen Diplomatenpass erhalten, wobei er trotzdem amerikanischer Staatsbürger blieb. 2003 beschuldigte die amerikanische Justiz Griffen, Schmiergelder an Nasarbajew und weitere hohe kasachische Funktionäre bezahlt zu haben, als Gegenleistung für die Unterzeichnung saftiger Verträge mit amerikanischen Firmen, darunter Chevron. Diese ganze Geschichte, die sich über mehrere Jahre hinwegzog, wurde „Kasachgate“ genannt. 2006 stand der Name des Präsidenten, sowie der seiner Tochter Dinara und ihres Ehemannes, Timur Kulibajew, wie auch der Imangali Tasmagambetows (Ministerpräsident und späterer Bürgermeister von Almaty) immer noch auf der Liste von Interpol. Theoretisch riskierten sie verhaftet zu werden, wenn sie ins Ausland reisten.
2007 wurde Griffen jedoch lediglich zu einem, für die amerikanische Justiz, symbolischen Bußgeld verurteilt, da seine Anwälte geltend gemacht hatten, dass er ein Informant der CIA war und der Agentur regelmäßige Berichte über Kasachstan lieferte. Das bedeutete nichts anderes, als dass Präsident Nasarbajew sich über mehrere Jahre hinweg von einem amerikanischen Spion hatte beraten lassen, der ihn im Interesse der CIA und der USA im Allgemeinen handeln ließ. Diese Episode trug natürlich nicht zu Verbesserung Nasarbajews Rufes bei.
Letztendlich geriet Kasachgate in Vergessenheit, dank der Bemühungen eines mächtigen bulgarisch-amerikanischen Lobbyisten, Alexander Mirtschew, der internationale Pressekampagnen organisierte, um das Image des kasachischen Diktators reinzuwaschen. Diese Dienste wurden von den drei Oligarchen des Eurasischen Verbands (ENRC) finanziert, die es nicht wagten, dem „Boss“ die Stirn zu bieten: immerhin hing ihre Zukunft in Kasachstan von der Nasarbajews ab. Ich bin der Meinung, dass die Verhärtung des Regimes –und im Besonderen die verschärfte Kontrolle über die Medien – mit Kasachgate zusammenhängt: der Präsident wollte nicht, dass die Bevölkerung über diesen riesigen Skandal Bescheid wisse.
G. A. – Was wurde aus Nasarbajews eingefrorenen Konten in der Schweiz?
V. K. – Das ist eine Geschichte, die viel über die Praktiken des Regimes aussagt. Laut Rakat Aliyev(19), einem anderen Ex-Schwiegersohn Nasarbajews, schlug Mirtschew einen Weg zur Zufriedenheit der Schweizer Justiz vor: mit diesen eingefrorenen Geldern sollten Schulen in Kasachstan mit Computern ausgestattet werden. Aber auch hier gab es einen betrügerischen Mechanismus, der es Nasarbajew erlaubte, wieder an seine Gelder zu kommen, und zwar über eine Tarnfirma mit Sitz in Singapur. Rakat Aliyev erklärt dies ausführlich in seinem Buch Godfather-in-law.
G. A. – Kommen wir auf die Privatisierungen zurück. Wie wurde die Frage des Grundbesitzes geregelt?
V. K. – Einige Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung verordnete Nasarbajew die Auflösung aller Kolchosen. Dies mag absurd erscheinen, da diese Kolchosen ja kein Staatseigentum waren, sondern Eigentum der gut funktionierenden landwirtschaftlichen Genossenschaften. Der Haken dabei war, dass sie die besten Ländereien Kasachstans besetzten. Um diese Ländereien in die Hand zu bekommen, wurde folgendes Konzept ausgearbeitet: 1) die Auflösung der Kolchosen; 2) Zuweisung von Parzellen an jedes Kolchosenmitglied; 3) Rückkauf der Parzellen zu Niedrigpreisen, um sich die Ländereien anzueignen (da die einzelnen Bauern ohne die technische Ausrüstung der Kolchosen nicht überleben konnten). Auf dem Land der Kolchosen schuf man riesige landwirtschaftliche Unternehmen, die fast den gesamten landwirtschaftlichen Gewinn der Präsidentenfamilie erwirtschaften.
G. A. – Kajegeldine, Rakat Alijev, Sie selbst… Warum überwirft sich der Präsident so oft mit den Leuten aus seiner nächsten Umgebung?
V. K. – Seitdem er an die Spitze des Landes gekommen ist, hat es sich Nasarbajew zum Ziel gesetzt auf Lebenszeit an der Macht zu bleiben. Diese Ziel setzt er in die Tat um, indem er sich auf Leute stützt, die, sobald sie ihre Funktion erfüllt haben oder so unvorsichtig waren Kritik, wenn auch gut gemeint, zu äußern, aus seinem Umfeld entfernt werden, oder mit denen sogar kurzer Prozess gemacht wird.
G. A. – Sprechen Sie von Liquidierungen?
V. K. – Ja. Ich werde die zwei eklatantesten und beunruhigensten Beispiele anführen. Im März 2004 wandte sich Zamanbek Nurkadilow, ehemaliger Bürgermeister und Ex-Minister für Notstandssituationen, in einem offenen Brief an Nasarbajew. Darin prangerte er die missbräuchliche Privatisierung zugunsten der Familie des Präsidenten an (insbesondere der begehrten städtischen Grundstücke). Im November 2005 wurde er tot in seiner Wohnung aufgefunden. Er hatte zwei Kugeln in der Brust und eine im Kopf. Die offizielle Version lautete Selbstmord…
Zweites Beispiel. Der ehemalige Medienminister, Altynbek Sarsenbajew, der die Privatisierung des öffentlichen Fernsehens zugunsten Darigas, Nasarbajews Tochter, organisiert hatte und Chefideologe im Dienste des Präsidenten gewesen war, wurde unbequem, weil er zu viel wusste. Nachdem er schrittweise degradiert wurde, ging er schließlich zur Opposition über und wurde Vize-Präsident der demokratischen Partei Ak Jol. Ende 2004 begann er, die Immobilienprivatisierung der Gebäude und Grundstücke des öffentlichen Fernsehens zu Rabattpreisen (Dariga hatte 50 Dollar für den Quadratmeter im Zentrum Almatys bezahlt, ein Preis, der 10- bis 20fach unter dem damals gängigen Preis lag), sowie den Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen im September 2004 anzuprangern. Er trat natürlich zurück und gründete nach der Spaltung seiner Partei eine nicht eingetragene Partei, „die wahre Ak Jol“. Im Februar 2006 wurde das Auto, in dem sich neben Sarsanbajew auch sein Chauffeur und sein Leibwächter befand, von einer Spezialeinheit des KNB gestoppt. Sie wurden aus der Stadt herausgebracht und aus nächster Nähe erschossen.
Auch wenn Exekutionen eher selten sind, so gibt es doch zahlreiche Fälle von Inhaftierungen unerwünschter und unbequemer Personen. Die Festnahmen und Verhöre sind so gewalttätig, dass die Unglücklichen, die diesen unterzogen werden, im Allgemeinen gebrochen daraus hervorgehen. Der Wirtschaftsminister Jassykbek Kulikeev, ein ausgesprochen kompetenter Mann, hatte zu viele vernünftige Ideen. Er wurde zuerst in die Leitung der Eisenbahn Kasachstans versetzt und dann der Korruption angeklagt (ein komplett inszenierter Prozess). Man warf ihn in den Kerker des KNB, und, nachdem er endlich rehabilitiert war, kam er völlig demoralisiert aus dem Gefängnis und hatte jegliches Interesse, sich in die Politik einzumischen, verloren. Mehrere andere Minister und hochrangige Offiziere, darunter Generäle, teilen das gleiche Schicksal. Einige haben im Gefängnis Selbstmord begangen.
G. A. – Sprechen wir nun über die Außenpolitik Nasarbajews. Wie erklären Sie die Beliebtheit, die der kasachische Präsident bei anderen Führern in der Welt genießt? Er wird in Russland geschätzt, man betrachtet ihn als Hauptstütze für die Zukunft der Eurasischen Union(20), aber auch innerhalb der Organisation von Shanghai (21) und gleichzeitig wird er nicht mehr vom Westen isoliert, wie zur Zeit von Kasachgate(22). Ist diese Toleranz gegenüber einem totalitären Regime nur auf die natürlichen Reichtümer Kasachstans zurückzuführen? Oder hofieren die ausländischen Führer Nasarbajew, weil er in ihren Augen eine Insel der Stabilität in dieser ausgesprochen strategischen Region verkörpert?
V. K. – Ich glaube, dass Ihre erste Erklärung der Hauptgrund ist. Man kann keinen Zugang zu den natürlichen Reichtümern Kasachstans erhalten, ohne sich die Gunst Nasarbajews zu sichern. Erinnern Sie sich, wie zahlreiche Staaten Oberst Gaddafi vor der libyschen Revolution empfingen. Jahrelang wurde er wegen des libyschen Ölreichtums als vollwertiger Gesprächspartner betrachtet – man gewährte ihm sogar sein Zelt vor den Regierungsgebäuden der Länder aufzuschlagen, die er besuchte, namentlich in den USA und in Frankreich.
Die Persönlichkeit Nasarbajews spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Er ist ein umsichtiger, schlauer und charismatischer Politiker. Wir erinnern uns alle an das Abkommen von Belaweska, das 1991 von den Führern Russlands, der Ukraine und Weißrusslands unterzeichnet wurde und das Ende der UdSSR für rechtsgültig erklärte. Jelzin, Krawtschuk und Schuschkewitsch hatten Nasarbajew, der damals bereits an der Spitze Kasachstans stand, eingeladen, sich ihnen anzuschließen. Nasarbajew hatte zugesagt; aber anstatt zu dem Treffen in Weißrussland zu gehen, landete er in Moskau, wo er Gorbatschow über das Komplott informierte. Diese Episode sagt viel über seinen berechnenden und skrupellosen Charakter aus. Es kam natürlich auch vor, dass er sich irrte, wie in diesem konkreten Fall: er hätte sich besser mit Jelzin und nicht mit Gorbatschow getroffen. Aber Nasarbajew ist bemerkenswert gut darin, eine Kehrtwende zu absolvieren, und einen Ausweg zu seinem Vorteil zu finden.
G. A. – Zum Beispiel?
V. K. – Nehmen wir die Tragödie, die sich vor kurzem in der Stadt Janaozen ereignete. Im Dezember 2011 eröffneten kasachische Spezialkräfte, wahrscheinlich mit Zustimmung Nasarbajews, das Feuer auf die streikenden Arbeiter des Öl- und Gassektors und töteten dabei mindestens 14 Personen – ganz zu schweigen von den dutzend Verletzten(23). Dieses Blutbald wurde mit Sicherheit auf Verordnung Nasarbajews ausgeführt. Die ganze Welt war empört. Das Europäische Parlament und das US-Außenministerium verurteilten diese Gewaltentfesselung aufs Schärfste, ebenso auch die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch. Der Präsident unternahm daher ein Ablenkungsmanöver, um sein Prestige wieder aufzubessern. Anlässlich des Atomgipfels in Südkorea im März 2012, schlug er vor, in Kasachstan eine internationale Bank für nukleare Brennstoffe einzurichten. Das erklärte Ziel: verhindern, dass Staaten wie der Iran auf eigene Faust Urananreicherungen vornehmen und allen Staaten der Welt Zugang zu angereichertem Uran für zivile Zwecke zu ermöglichen. Dieser Vorschlag, der, aufgrund der Risiken, die mit der Lagerung großer Mengen spaltbaren Materials verbunden sind, für die Bevölkerung Kasachstans ein potentielle Gefahr darstellt, ist für den Moment nur ein frommer Wunsch geblieben… aber er brachte Nasarbajew sowohl von Barack Obama als auch von Dimitri Medvedev Lob ein!
Zu diesem Anlass hat die offizielle kasachische Presse eine völlig surrealistische Idee ins Spiel gebracht: Nasarbajew den Friedensnobelpreis zu verleihen. 2008 wurde er zum ersten Mal für diesen prestigeträchtigen Preis nominiert. Die Idee kam von zwei Mitgliedern des amerikanischen Kongresses. Sie wurde von einem anderen Mitglied des amerikanischen Kongresses 2011 wieder aufgenommen, jeweils in Anerkennung der Verdienste Nasarbajews im Bereich der Abrüstung. Man kann sich fragen, welche Montage sich hinter diesen wahnwitzigen Vorschlägen verbergen mag…Immerhin ist das Bild Kasachstans auf der Weltbühne das eines Staates, der nach jahrhundertelanger russischer Vorherrschaft die Unabhängigkeit erlangte und dessen Führer, trotz einiger Menschenrechtsverletzungen hier und da, sich für die nukleare Abrüstung, die Schaffung einer entnuklearisierten Zone im Nahen Osten und andere gute Initiativen im Bereich der Atomenergie einsetzt.
G. A. – Sind diese Komplimente nicht wenigstens zum Teil gerechtfertigt?
V. K. –Die Schließung des Zentrums für Nuklearversuche und dessen Polygons in Semeï (vormals Semipalatinsk) im Jahr 1991 ist die herausragendste Leistung Nasarbajews im Bereich der Abrüstung. Diese Anlage hatte sich entsetzlich auf die Gesundheit der Bevölkerung Kasachstans ausgewirkt. Aber in Wahrheit erfolgte die Schließung nicht auf Initiative des Präsidenten, sondern in Folge einer mächtigen Volksbewegung „Nevada-Semeï“, die auf die Initiative des großen kasachischen Poeten Oljas Suleimenov hin gegründet wurde. Nun aber hat sich der Präsident diesen Verdienst angemaßt. 2010 besuchte der UNO Generalsekretär Ban Ki-moon die ehemalige Atomversuchsanlage und begrüßte die „visionäre Entscheidung, wahre Unabhängigkeitserklärung“ von Präsident Nasarbajew.
Bis zum heutigen Tag wird Nasarbajew regelmäßig zu der Entscheidung der Entnuklearisierung Kasachstans vor 20 Jahren beglückwünscht. Aber er hatte gar keine andere Wahl! Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfügten vier ehemalige Sowjetrepubliken über Atomwaffen: Russland, die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan. Russland wurde von der UNO als einziger legaler Erbe sämtlicher sowjetischer Verpflichtungen anerkannt. Daraus folgte, dass die drei anderen Staaten, die auf ihrem Boden lagernden Atomwaffen nicht behalten konnten, ohne von der internationalen Gemeinschaft ausgestoßen zu werden. Nasarbajew blieb nichts anderes übrig. Jeder andere Präsident an seiner Stelle hätte die gleiche „Entscheidung“ getroffen.
Um auf die Einschätzung der Außenpolitik Nasarbajews zurückzukommen würde ich sagen, dass er ein komplexes Spiel spielt. Er selbst gibt an, eine „multi-vektorielle“ Politik zu betreiben. Privat brüstet er sich damit, Wladimir Putins Mentor zu sein. Es stimmt, dass er hervorragende Beziehungen zu Russland hat, aber auch zu China, zu den USA (nachdem Kasachgate beigelegt worden war), zur islamischen Welt… Kurz gesagt, er ist der Freund all derer, aus denen er Profit schlagen kann.
G. A. – Sie beschreiben ein Land, in dem die Familie des Präsidenten sich den Löwenanteil genommen hat, in dem das Volk nur ein paar Krümel von dem großen Kuchen des Abbaus der natürlichen Reichtümer bekommen hat, in dem die regierende Macht sich politisch motivierter Morde bedient… Dennoch haben Sie lange Zeit eng mit diesem Regime zusammengearbeitet. Darf ich Sie fragen warum?
V. K. – Als Nasarbajew zum Präsidenten des Landes aufstieg, war ich schon seit mehreren Jahren als Politiker und Geschäftsmann in den höchsten Ebenen aktiv. Nachdem Nasarbajew an die Macht gekommen war, diente ich meinem Land weiterhin, immer volksnah. Alle Ämter, die ich im Laufe meiner Karriere bekleidet habe, machten mich für die Bevölkerung unverzichtbar, und die Reformen und Erneuerungen, die ich fördern konnte, gaben mir eine tiefe Befriedigung. Ich habe mich nie in die Machenschaften des Nasarbajew-Klans verstrickt. Im Gegenteil, ich habe immer Abstand gewahrt. Aber als Nasarbajew im Laufe der Zeit immer gewalttätigere Methoden anwand, um die sich formende Opposition zu unterdrücken, war es meiner Frau und mir klar, dass wir nicht länger in Kasachstan bleiben konnten. Damals hatte ich bereits ein großes Insiderwissen über das „System Nasarbajew“ – sowie auch selbstverständlich heute noch. Da ich mehrmals verweigerte, mich in Schwindeleien, die mir aus dem Umfeld des Präsidenten angetragen wurden, zu verstricken, wusste ich mich in Gefahr. Das hat mich dazu bewogen auszureisen, und zur offenen Opposition gegen das Regime überzugehen.
G. A. – Was ist die Lösung? Gibt es Hoffnung, dass Kasachstan eine Demokratie wird? Ist eine Art „Arabischer Frühling“ in Sicht?
V. K. – Dieses Regime ist ein Krebstumor im Körper der Nation mit zahlreichen Metastasen: die Mitglieder der Familie Nasarbajew. Die derzeitige Regierung stellt nur einen kleinen Kreis der regierenden Elite zufrieden. Es ist ein Staat, in dem alle telefonischen Gespräche, das Internet und andere Kommunikationsmittel vom Geheimdienst kontrolliert werden. Die Zukunft der Bürger, einschließlich der hohen Funktionäre, ist sehr unsicher, da keiner weiß, was sich der Präsident noch ausdenkt. Das Land unterliegt einem Kult um die Person Nasarbajews. Als er 2010 zum Führer der Nation wurde, verabschiedete er ein Gesetz, in dem jegliche Kritik an seiner Person oder auch nur die Verbreitung der kleinsten negativen Information über ihn oder Mitglieder seiner Familie untersagt wird. Der Führer hat immer Recht und wer daran zweifelt, wird vom KNB und der Justiz zur Ordnung gerufen. Diese Situation wird sicherlich zu Protestwählern führen. Derzeit sind die Protestbewegungen noch schwach: bei den kleinsten Anzeichen finden sich ihre Führer in dem Kerkern des KNB wieder, wo man Widerstand zu brechen weiß…Aber die Zahl der Unzufriedenen wächst und wird bald eine kritische Masse erreichen. Früher oder später ist eine soziale Explosion unvermeidlich, wie das Beispiel von Janaozen und andere jüngste Streiks(24) gezeigt haben…
G. A. – Eine letzte Frage: in welcher Rolle sehen Sie sich in der Zukunft?
V. K. – Ich möchte mich für ein demokratisches, von Korruption befreites Kasachstan einsetzen. Dies tue ich von meinem Exil aus, und ich hoffe bald die Gelegenheit zu haben, in mein Land zurückzukehren, um dort diese Arbeit weiterführen zu können. Ich bin mir der Schwierigkeiten bewusst, die es zu überwinden gilt, aber ich glaube fest daran, dass mein Heimatland sich von diesem ungerechten Regime befreien und wieder seinen Platz im Orchester der Nationen einnehmen wird.
(1) Kasachstan besitzt 3,3 % der weltweiten Kohlenwasserstoffvorkommen. Seine Ölreserven werden auf mindestens 4,8 Milliarden Tonnen geschätzt und seine Gasreserven auf über 3 Trillionen m³. Was die Nichteisenmetalle angeht, so werden die Kupferreserven auf 37 Millionen Tonnen geschätzt (5,5 % der weltweiten Ressourcen); die Zinkreserven auf 25,7 Millionen Tonnen (9,5% der weltweiten Ressourcen); die Bleireserven auf 11,7 Millionen Tonnen (10,1 % der weltweiten Ressourcen), usw. Ins Gesamt verfügt Kasachstan über Vorkommen von 25 verschiedenen Nichteisenmetallen.
(2) Sarsenbajew wurde am 13. Februar 2006 zusammen mit seinem Chauffeur und seinem Leibwächter ermordet. Die Opposition beschuldigte sofort die Regierung und den KNB (Komitee zur Sicherheit des Staates Kasachstan) die Tat verübt zu haben. Zwei Wochen später gab der Chef des Senats Kasachstans, Erjan Utembajew, zu, dass er den Mord in Auftrag gegeben hatte und dieser von Beamten des KNB ausgeführt worden war. Präsident Nasarbajew behauptete öffentlich, dass Utembajew, der zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, dieses Verbrechen zur „Verteidigung seiner Ehre“ begangen hatte.
(3) Nurkadilow wurde am 12. November 2005 in seinem Haus aufgefunden. Er war mit drei Kugeln getötet worden: zwei im Herz und eine im Kopf. Offizielle Quellen sprachen von einem „Selbstmord“.
(4) Nach Angaben von Freedom House teilte sich Kasachstan 2011 mit Äthiopien und Gambia den 175. Platz (von 197 erfassten Ländern). Laut der Liste von Reportern ohne Grenzen von 2010 belegt Kasachstan den 162. Platz von 178 erfassten Ländern.
(5) Über die Reichtümer des Nasarbajew-Klans gibt es sowohl in der westlichen als auch in der russischen Presse zahlreiche Quellen. Vgl. z. B. die Seite kompromat.ru auf der mehrere angegeben werden. Siehe auch Sergej Guriew und Andrej Raschinsky, „The Evolution of Personal Wealth in the Former Soviet Union and Central and Eastern Europe“. www.wider.unu.edu. United Nations University – World Institute for Development Economics Research, october 2006
(6) Gegen Viktor Krapunow wurde in Abwesenheit ein Strafverfahren eingeleitet, wegen „Missbrauchs öffentlicher Mittel“ und der „Organisation einer kriminellen Gruppe“, die er zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Familie gebildet haben soll. Zum Vergleich, der Ex Ministerpräsident Kasachstans, Akejan Kajegeldine, wurde im Jahr 2000 des Machtmissbrauchs, des Missbrauchs öffentlicher Mittel, der Erpressung und Geldforderung, des illegalen Waffenbesitzes und des Steuerbetrugs angeklagt. 2002 stellte ihm das Europäische Parlament einen „Passeport pour la liberté“ aus, den die europäischen Parlamentarier politisch verfolgten, aktivistischen Oppositionellen bewilligen.
(7) Kasachischer Journalist, der seit 1986 in Moskau lebt und an der Seite Boris Jelzins eine glänzende Karriere absolviert. Von 1990 bis 1992 ist er Minister für Presse und Information in Russland, danach übernimmt er den Vorsitz der Spezialkommission zur Deklassifizierung von Geheimdokumenten der sowjetischen kommunistischen Partei.
(8) Es gibt fast 20 Parteien in Kasachstan, von denen einige nicht einmal eingetragen sind und daher keine legale Existenz besitzen. Derzeit sind nur drei Parteien im Parlament vertreten. Davon hat „Nur Otan“, die Partei von Präsident Nasarbajew 80,7 % der Stimmen bei den Parlametswahlen im Januar 2012 erhalten. Nach Angaben der OSCE waren die Wahlen nicht demokratisch.
(9) Vgl.
(10) Nach Angaben der Vereinigung „Gesellschaft junger Akademiker Kasachstans“ wurde der Prozentsatz der Wähler künstlich durch Urnenbefüllung erhöht, die in manchen Wahllokalen bis zu 47 % betrug. Vgl.
(11) Ehemaliger Minister für Außenhandelsbeziehungen Kasachstans.
(12) Vgl. zum Beispiel die Veröffentlichung Ken Silversteins in Foreign Policy, Mai-Juni 2012. Vgl auch die Veröffentlichung von Nurachmed Kanjeew über eine Informationsseite der Opposition, Respublika, im Mai 2011.
(13) Präsident und Mehrheitsaktionär des Unternehmens Kasakhmys, das sich mit dem Abbau und der Weiterverarbeitung von Nichteisenmetallen und Edelmetallen befasst. Laut Angaben der Zeitschrift Forbes wird sein persönliches Vermögen 2012 auf 3,5 Milliarden Dollar geschätzt.
(14) Patok Schodijew ist ein kasachischer Oligarch, der in Belgien lebt. 2012 wird sein Vermögen von Forbes auf 3,7 Milliarden Dollar geschätzt und das Vermögen von Alexandre Maschkewitsch, der in Israel lebt, erreichte 2011 3,7 Milliarden Dollar. Sie sind seit 1992 Partner und gehören zu den fünf Hauptaktionären der Eurasian Natural Resources Corporation (ENRC), einer Gruppe von weltweit erstem Rang im Bereich der Rohstoffgewinnung und -weiterverarbeitung mit Sitz in London. Die beiden anderen Hauptaktionäre sind das Unternehmen Kazakhyms und ein Gefüge des Finanzministeriums Kasachstans.
(15) Laut Forbes besitzen Timur Kulibajew, Vorsitzender der Vereinigung von Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor Kazenergy, und seine Frau Dinara, die Tochter Nasarbajews, jeweils 1.258 Milliarden Dollar. Bis vor kurzem war Kulibajew der Vize-Präsident der Stiftung „Samruk-Kazyna“, die dem Staat gehört und 53 % der gesamten Industrie Kasachstans verwaltet, darunter KazMounaïGaz, die Eisenbahngesellschaft Kasachstans Temir Joly, die Atomholding Kazatomprom, usw.
(16) Heute ist diese Zentrale praktisch stillgelegt.
(17) 2008 wurde AES, das stark in die Modernisierung der Zentrale investiert hat, gezwungen diese an Kazakhmys zurückzuverkaufen, unter dem Druck von Kulibajew, der begierig darauf war, die Zentrale an sich zu reißen (nach Wikileaks, vgl. die Veröffentlichung von Mohamedjan Adilow auf der Seite von Respublika). Derzeit gehört die Zentrale zu gleichen Teilen zu „Samruk-Kazyna“ und zu Kazakhmus.
(18) Dieses Geld auf der Genfer Bank Picet&Cie stellt einen Teil der Beträge dar, die Präsident Nasarbajew und sein Umfeld von amerikanischen Ölfirmen als Gegenleistung für verschiedene Sonderrechte und Lizenzen in Kasachstan erhalten hatten. Insgesamt, nur in der Schweiz, handelte es sich um hunderte Millionen Dollar „schmutzigen Geldes“, das auf die Konten Nasarbajews und seiner Vertrauten hinterlegt wurde. Vgl. die Zusammenfassung auf der Seite
(19) Politiker, Geschäftsmann und Diplomat, ehemaliger Ehemann der ältesten Tochter Nasarbajews, Dariga, die später Timur Kulibajew heiratete). Nachdem er 2007 zur Opposition übergegangen war, wurde er der Entführung mehrerer Personen und sogar des Mordes an einem kasachischen Journalisten im Libanon angeklagt.Er wurde in Abwesenheit zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Buch The Godfather-in-law, das 2009 simultan in Englisch, Deutsch und Russisch erschien, erzählt seine Geschichte und gibt einen Überblick über das autokratische System Kasachstans, einschließlich der kriminellen Aktivitäten aus dem Umfeld des Präsidenten. Es basiert größtenteils auf Aufzeichnungen von Gesprächen mit Nasarbajew und Personen aus dessen Umfeld. In seinem Amt als hoher Verantwortlicher für die nationale Sicherheit und die persönliche Sicherheit des Präsidenten zwischen 1999 und 2002 hatte Rakhat Aliyev Zugang zu diesen Aufzeichnungen. Das Buch ist in Kasachstan verboten, aber über Internet auf Russisch erhältlich, vgl.
(20) Konföderationsprojekt für einen vereinheitlichten politischen, wirtschaftlichen, militärischen, zollrechtlichen und kulturellen Raum, basierend auf einer Vereinigung von Russland, Kasachstan und Weißrussland. Derzeit haben diese drei Länder eine Zollunion und einen einheitliche Wirtschaftszone geschaffen. Weitere Abkommen sind für 2013 vorgesehen.
(21) Es handelt sich um eine internationale Regionalorganisation, die 2001 von den Führern Chinas, Russlands, Kasachstans, Tadschikistans, Kirgisistans und Usbekistans gegründet wurde. Die Organisation hat das Ziel, die Sicherheit auf den Gebieten der Mitgliedsstaaten zu verstärken und den Terrorismus, Extremismus, Separatismus und Drogenhandel zu bekämpfen. Mehrere Länder haben den Beobachterstatus: die Mongolei, Iran, Pakistan, Indien, Afghanistan, während Länder wie Sri Lanka, die Türkei und Weißrussland den Status „Dialogpartner“ besitzen.
(22) Er unternahm beispielsweise im September 2011 einen Arbeitsbesuch in Frankreich, bei dem er von Präsident Nicolas Sarkozy empfangen wurde.
(23) 37 Aktivisten wurden wegen der Organisation des Streiks („Aufruf zum sozialen Hass“) verurteilt, darunter 13, die zu Arbeitslager (ihre Strafen liegen zwischen drei und sieben Jahre), obwohl sie im Prozess ausgesagt hatten, dass ihre „Geständnisse“ unter Einsatz von Folter erzwungen worden waren. Kein Polizist wurde verurteilt oder wenigstens wegen Einsatzes von Schusswaffen degradiert.
(24) Z. B. Der Streik von über 3.000 Arbeitern des Metallkombinats Arcelor Mittal Temirtau im Juni 2012.