Die kasachische Regierung hat Thomas Borer als Lobbyisten angeheuert. Seine Mission lautet, die Schweizer Behörden im Sinne Kasachstans zu beeinflussen. Nun kommen die diskreten Aktivitäten ans Licht.
Früher vertrat Thomas Borer die Interessen des Schweizer Staates. In der Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen kämpfte er in den 1990er Jahren gegen Angriffe aus den USA, dann war er bis 2002 Botschafter in Deutschland. Tempi passati. Heute setzt Borer als Lobbyist sein eigenes Land unter Druck. Im Sold der kasachischen Regierung versucht er, den Bundesrat und die Schweizer Justizbehörden zu beeinflussen. Er hat veranlasst, dass Nationalräte im Sinne Kasachstans tätig wurden. Und er stellte der kasachischen Regierung vertrauliche Informationen aus dem Inneren der Schweizerischen Bundesanwaltschaft in Aussicht.
Wie meist, wenn Lobbyisten aktiv werden, sollte all das im Hintergrund bleiben. Doch die Zeitung «Le Temps» hat Borer als Lobbyisten für das kasachische Regime geoutet. Wegen dieses Artikels hat Borer inzwischen Strafanzeige gegen den Journalisten eingereicht, wie die «Sonntags-Zeitung» am letzten Sonntag publik gemacht hat.
Jetzt liegen der NZZ neue Quellen vor, mit deren Hilfe sich Borers Kasachstan-Connection detailliert nachzeichnen lässt: Unbekannte Kreise haben Zehntausende von E-Mails kasachischer Regierungsbeamter im Internet publiziert. In dieser Datenmenge finden sich auch rund zwei Dutzend E-Mail-Nachrichten, die zwischen Borer und kasachischen Regierungsvertretern hin und her gingen.
Zehntausende E-Mails veröffentlicht
Die Mail-Korrespondenz zwischen Thomas Borer und kasachischen Regierungsstellen ist Teil eines umfangreichen Datensatzes, der im Internet publiziert worden ist. Auf der Website https://kazaword.wordpress.com sind Kopien von rund einem Dutzend Mailboxen kasachischer Persönlichkeiten abgelegt. Darunter befinden sich auch private und geschäftliche Accounts des Exekutivsekretärs des Justizministeriums, Marat Beketajew, des stellvertretenden Generalstaatsanwalts, Andrei Krawtschenko, sowie anderer kasachischer Regierungsbeamter.
Urheber und Umstände dieses Informationslecks sind nicht bekannt. Auch über die Motive der Veröffentlichung lässt sich nur spekulieren. Das Leck könnte Ausdruck davon sein, dass die Machtkämpfe in der kasachischen Elite mit harten Bandagen geführt werden. Insgesamt umfassen die Datensätze über 60 000 E-Mail-Nachrichten und Dateianhänge. Die ältesten Nachrichten stammen aus dem Jahr 2007, die jüngsten aus dem letzten Quartal des Jahres 2014.
Die Datensätze sind nicht verschlüsselt. Sie müssen lediglich mit einer handelsüblichen Software entpackt werden und sind dann in handelsüblichen E-Mail-Programmen lesbar.
Das Gros der E-Mails hat mit der Schweiz nichts zu tun. Enthalten im Datensatz sind jedoch rund zwei Dutzend ankommende und abgehende Nachrichten an und von Thomas Borer (vgl. Haupttext). Hinzu kommen über vierzig weitere E-Mail-Nachrichten, in denen Thomas Borer erwähnt wird. Nachrichten an und von E-Mail-Nutzern in der Schweiz sind nur im Datensatz enthalten, sofern sie in den Mailboxen der Kasachen auftauchen.
Verbrecher? Oppositioneller?
Inhaltlich drehen sich die meisten Mails um den Fall Chrapunow. Das Ehepaar Leila und Viktor Chrapunow gehörte einmal zur kasachischen Elite: Er war Bürgermeister der Stadt Almaty, sie war Geschäftsfrau. 2007 kam es zum Bruch mit dem Regime, und die Chrapunows setzten sich in die Schweiz ab. Heute betätigt sich Chrapunow vom Genfersee aus als Regimekritiker. Die kasachische Justiz ihrerseits hat Chrapunow per Interpol zur Verhaftung ausgeschrieben. Sie wirft ihm Korruption und Veruntreuung hoher Millionenbeträge vor. Um seiner habhaft zu werden, richtete Kasachstan im Februar 2012 ein Rechtshilfegesuch an die Schweiz.
Ob und inwieweit die Vorwürfe gegen Chrapunow zutreffen, ist bis heute offen. Die Genfer Staatsanwaltschaft leistet Rechtshilfe und unterstützt die kasachische Justiz: Mindestens zweimal konnten kasachische Ermittler die Chrapunows in Genf befragen. Doch mit dieser offiziellen Hilfe sind die kasachischen Behörden offensichtlich nicht zufrieden. Um die Jagd nach Chrapunow zu beschleunigen, haben sie Alt-Botschafter Borer engagiert.
30 000 Dollar pro Monat
Aus den veröffentlichten E-Mails geht hervor, dass bereits im April 2013 ein Gespräch zwischen Borer und dem kasachischen Vize-Generalstaatsanwalt stattfindet. Doch vorerst kommt man nicht ins Geschäft. In den nächsten Monaten hakt Borer mehrmals per E-Mail in Kasachstan nach und bietet offensiv seine Dienste an. Am 13. November 2013 stellt er dem kasachischen Justizministerium sogar vertrauliche Informationen aus der Bundesanwaltschaft in Aussicht. Er habe Zugang zu einem «wichtigen Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft» erhalten, schreibt er und verspricht, dieser Mitarbeiter «könnte uns wichtige Insider-Informationen zugänglich machen».
Am 18. Februar 2014 erhält Borer endlich die Aufforderung, eine Offerte für seine Lobby-Dienste zu unterbreiten. Die Offerte selber fehlt in der Datenbank. Vorhanden ist jedoch eine Mail-Antwort vom 7. März 2014, in der die kasachische Seite über den Preis diskutiert: Sie fragt Borer an, ob man sich nicht auf 30 000 Dollar pro Monat einigen könne statt auf 30 000 Franken. Borer erklärt sich einverstanden.
Für die nächsten Wochen gibt es keine Spuren – bis am 8. August 2014 im «Beobachter» ein kritischer Artikel über Chrapunow erscheint. Noch am gleichen Tag schreibt Borer dem Exekutivsekretär des kasachischen Justizministeriums, dieser Artikel sei «ein erfolgreiches Resultat unseres Aktionsplans». Er selber habe den Autor des Artikels «initiiert» und «gut gebrieft». Borer erklärte, dass er nun gemäss Aktionsplan weiterfahren werde, «positiven Druck auf das Büro des Bundes-Staatsanwalts auszuüben».
Willfährige Nationalräte
Zu diesem Zeitpunkt hat Kasachstan allerdings einen Rückschlag erlitten: Am 19. Juni 2014 hat das Bundesamt für Justiz (BJ) ein kasachisches Auslieferungsbegehren abgelehnt. Das BJ begründet die Absage damit, dass für Chrapunow kein menschenrechtskonformes Verfahren garantiert wäre. Am 26. August 2014 bietet Borer den Kasachen an, dass er die Auslieferungs-Sache nun selber in die Hand nehme. Er schlägt «eine direkte Intervention» beim zuständigen BJ-Vizedirektor vor und bittet die kasachischen Behörden dafür um grünes Licht. Ziel sei es, «den Druck auf die Behörden in Bern direkt zu erhöhen». Auch den Bundesrat will Borer unter Druck setzen: Er habe eine Interpellation vorbereitet, die durch «freundlich gesinnte Parlamentsmitglieder» eingereicht werden soll.
Und tatsächlich: 30 Tage später reicht der SVP-Nationalrat Christian Miesch eine Interpellation ein. Der Vorstoss übernimmt die Sichtweise Kasachstans ungefiltert. Ohne Belege, aber mit Namensnennung behauptet die Interpellation, Chrapunow habe seine Vermögenswerte mutmasslich veruntreut. Der Bundesrat soll erklären, ob er bereit wäre, Chrapunow auszuliefern und auf diese Weise seiner «gerechten Strafe» zuzuführen.
Miesch gibt zu, dass er wegen der Interpellation mit Borer «in Kontakt gestanden» sei. Miesch, der nach eigenen Angaben 14 Mal in Kasachstan war, ist Sekretär der parlamentarischen Gruppe Schweiz – Kasachstan. Acht Nationalräte haben den Vorstoss mitunterzeichnet: die fünf SVP-Vertreter Parmelin, Hurter, Rime, Bugnon und Lukas Reimann, die Freisinnigen Christa Markwalder und Walter Müller sowie SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen.
Weniger Erfolg als bei den Parlamentariern hat Lobbyist Borer offenbar beim Bundesamt für Justiz. Jedenfalls sagt ein Amtssprecher, es habe «im Fall Chrapunow kein Treffen zwischen dem BJ und Rechtsanwälten oder anderen Personen stattgefunden».
«Helfe Parlamentariern oft»
Thomas Borer stellt seine Aktivitäten als normal dar und sagt, er sei auch weiterhin für Kasachstan tätig. In einer Demokratie sei es «absolut zulässig, dass Einzelpersonen, Verbände oder ausländische Regierungen Einfluss auf Entscheide von Regierung und Parlament nehmen». Keine Probleme sieht er auch bei den «Insider-Informationen» der Bundesanwaltschaft, die er den Kasachen in Aussicht gestellt hat. Als Lobbyist habe er eine ähnliche Stellung wie ein Anwalt und dürfe Informationen aus Strafverfahren, die er «offiziell erhalte», an seinen Klienten weiterleiten. Zu Mieschs Interpellation sagt er: «Ich helfe Parlamentariern oft bei Vorstössen, in diesem und anderen Fällen. Das tun andere Lobbyisten genauso.»
Weiter nimmt Borer weder zum Inhalt der E-Mails noch zu seinem Honorar Stellung. «Diese Mails sind Teil meines Geschäftsgeheimnisses.» Er sei Opfer eines Hackerangriffs. Ohnehin sei sein Lobbying ein Nebenschauplatz, meint Borer. Entscheidend sei, dass die Familie Chrapunow ihr Vermögen «wahrscheinlich auf unrechtmässige Weise erworben» habe. Es sei unverständlich, dass die Schweizer Justiz nicht effizienter dagegen vorgehe. Und wenn man schon seine Rolle hinterfrage, müsse man auch über den FDP-Nationalrat Christian Lüscher sprechen, «der als Lobbyist von Chrapunow sogar im Nationalrat sitzt», wie Borer sagt.
Lüscher bestätigt, dass er als Anwalt die Chrapunows in einem Asylverfahren vertrete. Als Nationalrat habe er sich aber nie in einem Dossier engagiert, das die Chrapunows betreffe.
Berns Beziehungen zu Astana
Es ist selten, dass sich die Aktivitäten von Lobbyisten derart detailliert nachzeichnen lassen wie im vorliegenden Fall. Ungewöhnlich ist auch, dass es sich nicht um ein politisches Geschäft, sondern um ein Rechtsverfahren handelt – und dass der Auftraggeber ein autokratisches Regime ist. Dazu sagt Borer, dass Chrapunow bei einer Auslieferung «natürlich alle Garantien für ein rechtsstaatliches Verfahren erhalten würde». Im Übrigen weist er darauf hin, dass die Schweiz enge Beziehungen mit der kasachischen Regierung pflege.
Vor einigen Monaten äusserte sich Borer in «Le Temps» – unabhängig von diesem Fall – ausführlich über sein Berufsverständnis als Lobbyist. Er verdiene, erzählte der 57-Jährige, heute «deutlich mehr Geld» als früher als Botschafter. Aber er setze sich nur für Interessen ein, die er für «gerecht» halte.
Lukratives Lobbying für ein autoritäres Regime
Nicht nur der frühere Schweizer Botschafter Thomas Borer, sondern eine ganze Reihe ehemaliger Amtsträger aus Europa und Amerika haben sich einträgliche Lobbying-Aufträge aus Kasachstan geangelt. In beratender Funktion dienen oder dienten Kasachstan frühere Spitzenpolitiker wie der Brite Tony Blair, der Italiener Romano Prodi und der Österreicher Alfred Gusenbauer. Allein im Falle Blairs beläuft sich die Vergütung laut britischen Medien auf jährlich mehrere Millionen Pfund.
Imagepflege und die Förderung nationaler Interessen im Ausland sind legitime Anliegen eines Staates. Es fällt jedoch auf, dass Kasachstans Lobbying oft im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten steht, bei denen es im Kern um die persönliche Macht des Langzeit-Herrschers Nursultan Nasarbajew geht. Die Unerbittlichkeit, mit der dieser seine ins Ausland geflüchteten Gegner verfolgt, lässt sich nicht einfach mit der Suche nach Gerechtigkeit erklären; es handelt sich primär um politische Abrechnungen innerhalb der Machtelite eines diktatorischen Staates. Entsprechend könnten diese Personen bei einer Überstellung in ihre Heimat auch nicht mit einem fairen Prozess rechnen.
Von Frankreich fordert Kasachstan die Auslieferung des Oppositionellen Muchtar Abljasow, von Österreich jene des Ex-Schwiegersohns des Präsidenten, Rachat Alijew. Im Vergleich dazu handelt es sich bei dem 2007 nach Genf geflüchteten Viktor Chrapunow um eine zweitrangige Figur. Wenn die kasachische Justiz mit Vehemenz auf die strafrechtliche Verfolgung Chrapunows drängt, so steht das in krassem Gegensatz dazu, wie man Korruptionsaffären in der Familie des Staatschefs behandelt. Der Skandal, dass Ölfirmen in den neunziger Jahren Dutzende von Millionen Dollar auf Konten Nasarbajews in der Schweiz überwiesen, wurde nie sauber aufgearbeitet. Ungeklärt ist auch das Rätsel, wie Nasarbajews Schwiegersohn Timur Kulibajew zum Multimillionär aufsteigen konnte.
Kritische Fragen hält sich Nasarbajew im Inland vom Leib, indem er Oppositionspolitiker und Bürgerrechtler einsperren lässt. Obwohl diese Repression gut dokumentiert ist, lobbyiert Borer für eine gnädigere Sichtweise. Der Uno-Menschenrechtsrat sehe die Lage in Kasachstan sehr positiv, behauptet Borer und verweist dabei auf einen angeblichen Uno-Bericht. Dumm ist nur, dass es sich bei diesem Dokument keineswegs um einen Bericht des Menschenrechtsrates handelt, sondern um eine schönfärberische Selbstdarstellung Kasachstans.
Quelle: NZZ.ch