Bevor der Staatsanwalt sich seine Meinung zu einem Rechtshilfegesuch gebildet hat, versuchen Protagonisten, die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Der Angeklagte sieht sich als Dissidenten.
Die Fehde kasachischer Clans verlagert sich zusehends in die Schweiz – und wird hier auch von PR-Beratern geführt. Die Kommunikationsagentur von Viktor Chrapunow beschuldigte die Wirtschaftskanzlei Homburger in einer Pressemitteilung vom vergangenen Mittwoch, sie übergebe im Namen der kasachischen Regierung streng vertrauliche juristische Unterlagen an Schweizer Journalisten. Diese sollen aktiv von der Kanzlei angegangen worden sein. Homburger dementiert diesen Sachverhalt. Chrapunow ist ehemaliger kasachischer Energieminister, Bürgermeister von Almaty und Weggefährte von Präsident Nursultan Nasarbajew.
Schon lange im Umlauf
Mit den Unterlagen ist ein Rechtshilfegesuch des Staates Kasachstan an die Schweiz in einer Strafuntersuchung gegen Chrapunow und Angehörige seiner Familie gemeint. Ein Anwalt von Homburger verweist darauf, dass lediglich mit zwei Journalisten Hintergrundgespräche geführt worden seien (darunter der Schreibende). Ziel sei es gewesen, in einer bisher nur von der Gegenseite geführten «Medienkampagne» die Anliegen des Staates Kasachstan darzulegen. Belegt ist, dass sich das Rechtshilfegesuch bereits im November 2012 in den Händen einer Journalistin von «Le Monde» befand und das Westschweizer Fernsehen in einer Sendung am 29. November 2012 Details aus dem Rechtshilfegesuch veröffentlichte.
Doch worum geht es im Rechtshilfegesuch, das die kasachische Behörde im Februar 2012 in Bern deponierte? Mit dem Gesuch bittet der Staat Kasachstan in einer laufenden Strafuntersuchung gegen Viktor Chrapunow und seine Familie um Rechtshilfe. Der Ex-Minister setzte sich 2007 in die Schweiz ab. Auf Initiative von Kasachstan hin befand er sich damals auf der Fahndungsliste von Interpol. Das Rechtshilfegesuch wurde in Bern formal geprüft und zur weiteren Bearbeitung an die kantonale Staatsanwaltschaft in Genf weitergegeben. Diese ist auf das Rechtshilfegesuch eingetreten, die Untersuchungen sind im Gang.
Im Gesuch wird der Familie vorgeworfen, während der Amtszeit von Viktor Chrapunow eine kriminelle Organisation gegründet und geleitet zu haben. Deren Zweck sei gewesen, Staatseigentum illegal und unter Wert zu erwerben und mit hohem Gewinn zu verkaufen und diesen zu waschen. So habe die Organisation Staatseigentum im Rahmen von manipulierten Ausschreibungen, unter Verletzung von Privatisierungs-Vorschriften oder als Verkauf ohne Gegenleistung veräussert – an Familienmitglieder oder nahestehende Personen, die mit hohem Profit weiterverkauft hätten. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» führte die Chrapunows von 2009 bis 2011 mit einem Vermögen von 350 Millionen Franken in der Liste der reichsten Bewohner der Schweiz.
Verdacht auf Geldwäscherei
Anwälte der Kanzlei Homburger berieten die kasachischen Behörden in der Ausarbeitung des Rechtshilfegesuchs. Die Untersuchung der kasachischen Behörden habe ergeben, dass mehr als 70 der Republik gehörende Immobilien illegal verkauft wurden und aus diesen Geschäften ein Erlös von mehr als 250 Millionen Dollar erzielt worden sei.
Im Rechtshilfegesuch wird zudem dargelegt, wie das Geld in die Schweiz gebracht und hier in einem komplizierten Firmengeflecht – meist in der Immobilienbranche – gewaschen wurde. Dokumentiert wird auch, wie kurz vor Fertigstellung des Gesuchs die Verwaltungsräte im Schweizer Firmengeflecht ausgewechselt wurden: Mitglieder der Familie Chrapunow seien durch Schweizer Manager ersetzt worden. Ein Anwalt präzisiert, die Aufgabe von Homburger habe darin bestanden, die einzelnen Tatbestände zu prüfen – was in Stichproben auch vor Ort in Kasachstan geschehen sei –, und nicht darin, den Staat Kasachstan zu beurteilen.
Der zuständige Genfer Staatsanwalt bestätigt, dass er das Rechtshilfegesuch angenommen hat. Seine Aufgabe bestehe darin, zu prüfen, ob die Voraussetzungen zur Rechtshilfe gegeben seien. Bis zu einem gewissen Grad müsse er auch einschätzen, ob eine Zeugenaussage eventuell unter Zwang erfolgt sei. Der Staatsanwalt will sich aber nicht zu Details und dem Stand des Rechtshilfeabkommens äussern. Er erwähnt auch, dass ein Verfahren wegen Geldwäscherei eröffnet worden sei.
Der PR-Beauftragte der Familie Chrapunow beklagt, dass es ein grundsätzliches Dilemma sei, dass ein Rechtsstaat wie die Schweiz auf ein Rechtshilfegesuch eines Unrechtsstaates eintreten müsse. Sein Mandant sei ein Dissident, der gegen das Regime kämpfe. In Kasachstan könne die Regierung um Nasarbajew, der seit dem Untergang der Sowjetunion an der Macht ist, Unterlagen nach Belieben fälschen und, wo nötig, Strohmänner einsetzen. Dem Durchschnittsschweizer sei nicht bewusst, wie eng sein Land durch Ölimporte und die Stimmrechtsgruppe im Währungsfonds mit Kasachstan verbunden sei, dessen Menschenrechtsverletzungen von internationalen Organisationen belegt seien.
Enge Bande auf Länderebene
Neu behandelt die Genfer Staatsanwaltschaft auch Betrugsvorwürfe gegen die Tochter von Präsident Nasarbajew, die in Genf wohnhaft ist. Sie soll eine Angehörige der Familie Chrapunow gezwungen haben, eine kasachische Ladenkette weit unter Wert zu veräussern. Auch die Art, wie die Präsidententochter zu einer Schweizer Aufenthaltsbewilligung kam, ist fragwürdig.
Bund überprüft Bewilligung für Milliardärin
Das Bundesamt für Migration (BfM) will überprüfen, ob bei der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an die Tochter des Staatschefs von Kasachstan alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Man werde zusammen mit den zuständigen kantonalen Behörden die Umstände der damaligen Bewilligung genau überprüfen, kündigt BfM-Sprecherin Gaby Szöllösy an.
Wie berichtet, erhielt die Präsidententochter Dinara Kulibajewa 2007 im Tessin unter sehr fragwürdigen Umständen eine Kurzaufenthaltsbewilligung vom Typ L. Heute lebt Kulibajewa, deren Vermögen auf über eine Milliarde Franken geschätzt wird, in Genf. Sie hat dort 2009 ein Anwesen für 74,7 Millionen Franken erworben.
Am vergangenen Sonntag meldete die «Sonntags-Zeitung», der Bund werde den Fall nun genauer unter die Lupe nehmen. Dazu ergänzt das BfM nun, dass Aufenthaltsbewilligungen sogar widerrufen werden können, wenn der Ausländer im Bewilligungsverfahren falsche Angaben gemacht hat. Im vorliegenden Fall müsse nun rückwirkend untersucht werden, ob die Gesuchstellerin die Behörden wissentlich getäuscht habe. Dies zu beweisen, werde «allerdings nicht sehr einfach». Da der Fall Jahre zurückliege, setze ein Widerruf zudem «erhöhte rechtliche Anforderungen» voraus.