Ex-Diplomat Thomas Borer lobbyiert in Bern für die kasachische Regierung – zum Wohle der Schweiz und für einen sauberen Finanzplatz, wie er sagt.
«Thomas Borer im Sold einer fremden Macht», titelte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Mittwoch. Der ehemalige Schweizer Botschafter in Berlin soll für den kasachischen Staat lobbyieren und dafür ein monatliches Gehalt von 30’000 Dollar erhalten, so die Quellen der NZZ. Seine Aufgabe ist es, Kasachstan bei der Auslieferung und Sicherstellung des Vermögens von Viktor Chrapunow zu helfen. Kasachstan wirft ihm Korruption und Veruntreuung vor.
Chrapunow war Bürgermeister der Stadt Almaty. 2007 brach er mit dem kasachischen Regime und floh in die Schweiz. Kasachstan hat an die Schweiz ein Auslieferungsbegehren gestellt. Es wurde im Juni 2014 abgelehnt mit der Begründung, dass Kasachstan kein menschenrechtskonformes Verfahren gewährleiste. Wenig später machte SVP-Nationalrat Christian Miesch (BL) eine Interpellation an den Bundesrat zur Auslieferung von Chrapunow. Acht weitere Nationalräte haben den Entscheid unterzeichnet. Wie Miesch der NZZ erklärte, stand er in diesem Zusammenhang in Kontakt mit Borer.
Herr Borer, Sie sind schockiert über den Artikel in der NZZ. Wieso eigentlich?
Sagen wir es so, ich bin über die Tonalität erstaunt: «Borer übt Druck auf den Bund aus. Borer im Solde einer fremden Macht.» Und auf der Frontseite ein Bericht über Putin, der auf die Ukraine Druck macht. Der Leser fragt sich: Wie viele Panzerdivisionen hat Borer in Stellung, wie viele Putin? Das ist reisserisch und gehört zum Boulevard, nicht zu einer – einstmals – führenden Zeitung Europas. Ich übe eine rechtsstaatlich absolut zulässige Tätigkeit aus. Ich berate das kasachische Justizministerium bei der Zusammenarbeit mit den Schweizer Behörden im Zusammenhang mit Strafverfahren über Persönlichkeiten, die Kasachstan um Milliarden betrogen haben und Teile dieser Gelder in der Schweiz gewaschen haben, namentlich Herrn Chrapunow. Die NZZ fabuliert über Machtkämpfe im kasachischen Regime und wundert sich darüber, dass Lobbyisten mit Parlamentariern zusammenarbeiten. Wenn es über ein Thema in Kasachstan zwischen Opposition und Regierung Einigkeit gibt, dann ist es, dass die gestohlenen Gelder zurück nach Kasachstan kommen sollen und die beteiligten Personen ihre gerechte Strafe erhalten sollen.
Kasachstan hat keine politische Opposition, nur verschiedene Clans. Es ist ein autokratisch regiertes Land.
Ich widerspreche dem. Aber selbst wenn Sie recht hätten, hiesse das, dass kasachische Verbrecher in der Schweiz Asyl bekommen und ihrer Strafe entgehen sollen?
Veruntreuung und Korruption hat in der kasachischen Elite System. Glauben Sie, die Leute um Präsident Nasarbajew seien rechtschaffen und redlich?
Ich masse mir da kein Urteil an. Die Schweiz hat enge politische und wirtschaftliche Beziehungen mit Kasachstan. Wir halten es nicht für einen Unrechtsstaat. Daher darf es Kasachstan erlaubt sein, Schweizer Hilfe bei der Verfolgung eines wahrscheinlichen Kriminellen zu erwarten.
Chrapunow habe sich auf Kosten des kasachischen Volkes bereichert, sagen Sie. Selbst lobbyieren Sie für 30’000 Dollar monatlich für Kasachstan. Das zahlt auch das kasachische Volk.
Wenn Sie ein Rechtshilfe-Verfahren in die Hand nehmen, braucht es Spezialisten wie mich. Der kasachische Staat macht eine einfache Rechnung. Er gibt ein paar Prozent aus, um möglichst viel Geld zurückzubekommen. Das unterstützt auch der Kasake auf der Strasse.
Sie sagen, Chrapunow wasche Geld. Haben Sie Beweise?
Ich sage, es liegen Anschuldigungen mit vielen Beweisen vor. Ich stelle die Frage: Wie wird ein einfacher Bürgermeister innert weniger Jahre zu einem der reichsten Männer der Schweiz? Aber auch für Herrn Chrapunow gilt die Unschuldsvermutung.
Das Bundesamt für Justiz lehnte ein kasachisches Auslieferungsbegehren ab. Kasachstan könne kein menschenrechtskonformes Verfahren gewährleisten.
Die Sache ist damit nicht vom Tisch. Es könnte sein, dass Kasachstan noch ein weiteres Gesuch um Auslieferung stellt und dabei gewisse rechtsstaatliche Zusicherungen macht. Auch wäre möglich, dass Kasachstan vorschlägt, die Schweiz solle das Verfahren stellvertretend durchführen.
Sie zeigen sich sicher, dass Kasachstan ein menschenrechtskonformes Verfahren gewährleisten kann.
Botschafter können die Konformität der Behandlung sicherstellen. Die Schweiz liefert ja zum Beispiel auch Leute an Russland aus.
Glauben Sie, Russland garantiere menschenrechtskonforme Behandlung?
Das ist zumindest die Ansicht der für die Auslieferung zuständigen Behörde.
Was glauben Sie?
Ich bin nicht der Weltgerichtshof. Ich wage zu sagen, dass die Menschenrechtslage in Kasachstan besser ist als in anderen GUS-Staaten.
Sie waren Diplomat, jetzt stehen Sie auch im Dienst von Kasachstan. Man kann Ihnen das nicht verbieten. Trotzdem: Müssten Sie Mandate für andere Länder nicht ausschlagen?
Im Gegenteil: Ich kämpfe dafür, dass die Schweiz ein sauberer Finanzplatz wird. Es liegt im Interesse der Schweiz, dass solche Vorwürfe untersucht werden und wir nicht wieder in den Ruf der Geldwäscherei und Kriminalität geraten. Auch mein Engagement für Kasachstan steht in diesem Dienst. Im Übrigen bin ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr im Staatsdienst und beziehe keine staatliche Rente.
Sie sprechen von «ganz normaler Lobbyarbeit» – kein Problem also, dass Ihre Tätigkeit aufgeflogen ist?
Das ist kein Problem! Ich stehe seit Langem zu meinem Mandat. Ich habe bei meinen Gesprächen in «Bern» immer klar gemacht, in wessen Namen ich agiere. Im Gegenteil, dank der jetzigen öffentlichen Aufmerksamkeit bin ich zuversichtlich, dass wir schneller zu einer Strafuntersuchung kommen. Mich störte die reisserische Art der NZZ. Die NZZ gibt sich naiv – was ich mache, machen Dutzende Lobbyisten jeden Tag. Die NZZ sollte sich zum Beispiel auch fragen: Darf ein Nationalrat Lüscher Chrapunow vertreten?
Der Journalist schreibt zu Recht, Ihr Fall zeige etwas Exemplarisches. Wir sehen mal konkret, wie Lobbying funktioniert.
Ach hören Sie auf. Geht es um die Pharma-, Finanzdienstleistungs-, Rüstungs- oder Rohstoffbranche verzichtet die NZZ auf solche Recherchen. Wieso stellt sie da nicht die moralische Frage? Dabei gäbe es diesbezüglich viel Interessantes zu berichten.
Sie lobbyieren für ein fremdes Land, das ist eine andere Sache.
Wie gesagt, das ist zulässig! Die Schweiz beschäftigt auch immer wieder mal ausländische Lobbyisten, um zum Beispiel ihre Interessen in Washington wahrzunehmen.
In Ihrem Fall geht es immerhin um die Auslieferung eines Menschen.
Das ist klar. Daher braucht es ein faires Verfahren. Ich spreche Herrn Chrapunow auch nicht ab, dass er gute Anwälte, PR-Arbeiter und Lobbyisten beschäftigen darf. Beide Seiten sollen ihre Möglichkeiten ausschöpfen dürfen. Eine Zeitung sollte aber nicht nur einseitig meine Rolle hinterfragen! Auch die Schweiz pflegt ein freundschaftliches Verhältnis mit Kasachstan. Wieso soll meine Arbeit verwerflicher sein als die anderer?
Kennen Sie die Artikel 271/272 im Strafgesetzbuch?
(lacht)
271: «Wer auf schweizerischem Gebiet ohne Bewilligung für einen fremden Staat Handlungen vornimmt, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen, (…) wird mit Freiheitsstrafe (…) bestraft.» Wieso lachen Sie?
Sie können beruhigt sein. Ich kenne den Artikel gut. Ich habe mich nicht strafbar gemacht.
Stimmt es, dass Sie in einem Mail an das kasachische Justizministerium vertrauliche Informationen aus der Bundesanwaltschaft in Aussicht gestellt haben?
Ich erwarte von Ihnen als Journalist, dass Sie nicht alles glauben, was irgendwo behauptet wird.
Darum frage ich.
Ich habe, ähnlich einem Anwalt, Zugang zu gewissen Dokumenten. Diese Dokumente gebe ich an meine Klienten weiter. Aber ich habe als Diplomat und als Lobbyist nie Geheimnisverrat begangen. Ich stifte auch keine Beamten dazu an.
Die NZZ schreibt, Sie hätten Ihre Dienste Kasachstan offensiv angeboten.
Ich wurde von einem kasachischen Geschäftsmann empfohlen.
Wie ist der Name?
Das sage ich natürlich nicht.
Haben Sie das Gefühl, Sie seien jetzt in öffentlichen Misskredit geraten?
(lacht) Ich war in den letzten 20 Jahren in so vielen Schlagzeilen, dass ich wohl das Waldsterben mitverursacht habe. Ich bleibe immer gelassen.
Warum schreibt der Blick nicht über Ihre Sache?
Weil der Blick eine viel klügere Zeitung ist, als viele meinen.
Die rechtlichen Querelen mit Ihnen haben die Zeitung domestiziert.
Den Mann auf der Strasse interessiert das moralisch-elitäre Gerede wenig. Er will wissen: Wie kommt ein Bürgermeister zu Hunderten von Millionen?
Quelle: bazonline.ch