Der im Genfer Exil lebende Viktor Khrapunov, einst ein hoher Politiker in Kasachstan, wird von Interpol gesucht. Im Interview äussert er sich zum Vorwurf der Wirtschaftskriminalität, zum Reichtum seiner Familie und zum Streit mit Kasachstans Diktator.
Herr Khrapunov, Sie werden von Interpol gesucht – wegen Geldwäscherei, Betrugs und organisierter Kriminalität. Was sagen Sie zu Ihrer Verteidigung?
Diese Vorwürfe sind konstruiert. Solche Machenschaften sind typisch für Präsident Nursultan Nasarbajew, der in Kasachstan eine Diktatur installiert hat. Er kontrolliert Polizei und Justiz. Nasarbajew hat eine Kampagne gegen mich gestartet, weil er mich als politischen Feind sieht. Mit der Interpol-Fahndung will er mich einschüchtern und zum Schweigen bringen. Er möchte meine Bewegungsfreiheit einschränken, um meinen Umgang mit Oppositionellen im Ausland zu behindern. Nasarbajew fürchtet, dass im Ausland eine organisierte Opposition gegen sein Regime entsteht.
Lassen Sie uns zunächst über Ihre Finanzen sprechen. Die Zeitschrift «Bilanz» hat das Vermögen Ihrer Familie auf 300 bis 400 Millionen Franken geschätzt. Woher kommt dieses viele Geld?
Ich möchte an dieser Stelle alle Gerüchte zerschlagen. Was die «Bilanz» geschrieben hat, ist erheblich übertrieben. Als Bürgermeister der Stadt Almaty oder als Minister habe ich mir keinen besonderen Wohlstand geschaffen. Ich hatte kein Konto bei einer Schweizer Bank, und ich habe auch heute keines. Das Vermögen der Familie stammt in erster Linie von meiner Frau, die in Kasachstan eine erfolgreiche Unternehmerin war. (Leila Khrapunova gründete den ersten privaten TV-Sender Kasachstans, später führte sie Unternehmen im Immobilien-, Medien- und Luxusartikel-Business, Anm. der Redaktion.) Meine zwei älteren Kinder leben heute völlig unabhängig von uns – auch in finanzieller Hinsicht. Mein Sohn Iliyas zum Beispiel ist ein erfolgreicher Immobilienunternehmer. Weder ich noch meine Frau sind in den Firmen von Iliyas tätig. Ich betone nochmals: Wir gehören nicht auf die Reichenliste der «Bilanz».
Wie gross ist denn das Vermögen der Familie Khrapunov?
Es besteht keine Notwendigkeit, einen Betrag zu nennen.
Aber Sie sind sehr reich.
Uns geht es gut, aber wir sind nicht sehr reich. Im Vergleich mit dem riesigen Vermögen von Nasarbajew sind wir sogar arm. Wir kämpfen gegen ihn, obwohl wir nicht über gleich lange Spiesse verfügen.
Aufgrund Ihres bestimmt stattlichen Vermögens und Ihrer Herkunft aus einem korrupten Land wie Kasachstan müssen Sie sich unangenehme Fragen stellen lassen. Läuft in der Schweiz ein Strafverfahren gegen Sie?
Ich möchte nochmals betonen, dass das Vermögen meiner Frau bei weitem nicht dem entspricht, was die kasachischen Medien kolportieren. Die Tatsache, dass Schweizer Zeitungen dies übernommen haben, ändert daran nichts. In der Schweiz hatten wir nie Probleme mit den Behörden. Es gab nie irgendwelche Strafverfahren, auch jetzt nicht. Ich bin überzeugt, dass niemals ein Strafverfahren eröffnet werden wird. Aus einem einfachen Grund: Ich habe nie ein Bankkonto in der Schweiz gehabt. Und ich gehe fest davon aus, dass ich niemals nach Kasachstan ausgeliefert werde. Die Schweizer Behörden wissen sehr wohl, dass die Vorwürfe politisch motiviert und konstruiert sind.
Sie liefern sich von Genf aus eine politische und persönliche Fehde mit dem Nasarbajew-Clan. Sie gehörten allerdings viele Jahre selbst der politischen Elite Kasachstans an. Wie ist es zum Streit mit Nasarbajew gekommen?
Als ich Bürgermeister von Almaty war, häuften sich die Konflikte mit dem Nasarbajew-Clan. So weigerte ich mich, die Kontrolle des Energieunternehmens Almaty Power Consolidated, das gegen zwei Milliarden Dollar wert war, dem Schwiegersohn des Präsidenten zu überlassen. Es gab viele andere Beispiele. Im Jahr 2004 wurde ich als Bürgermeister von Almaty abgesetzt und auf den Posten des Gouverneurs von Ost-Kasachstan versetzt. Auch meine Frau Leila hatte als Unternehmerin längst Probleme mit dem Nasarbajew-Clan. Schliesslich wurde sie dazu gezwungen, ihre Unternehmen zu verkaufen. Nasarbajew-Leute besitzen heute noch Firmen, die meiner Frau gehörten.
2007 holte sie Nasarbajew zum zweiten Mal in die Regierung – diesmal als Minister für Katastrophenschutz, nachdem sie in den Neunzigerjahren Energieminister gewesen waren. Sie haben sehr lange im Nasarbajew-System mitgemacht.
Das stimmt nicht. Ich hatte schon mehrere Jahre in der Verwaltung der Stadt Almaty gearbeitet, bevor Nasarbajew die Macht ergriff. Ich war Berufspolitiker, nie Diener des Nasarbajew-Clans. Seinen Kindern habe ich nie Gefälligkeiten gewährt. Die Nasarbajew-Leute habe ich immer auf Distanz gehalten. Mit der Zeit spürten meine Frau und ich, dass wir nicht länger in Kasachstan bleiben konnten. Ich hatte zwar keine Angst um mich, aber Angst um meine Familie.
Was ist denn passiert?
Nasarbajew begann mit immer gewalttätigeren Methoden, die stärker werdende Opposition zu unterdrücken. Politische Gegner liess er sogar physisch liquidieren. Der Oppositionelle Zamanbek Nurkadilow, mein Vorgänger im Amt des Bürgermeisters von Almaty, wurde ermordet, nachdem er Nasarbajew zum Rücktritt aufgefordert hatte. Mit Altynbek Sarsanbajew wurde ein weiterer prominenter Oppositionspolitiker umgebracht. Nurkadilow und Sarsanbajew wussten sehr viel über das System der illegalen Bereicherung des Nasarbajew-Clans. Ich war und bin natürlich auch ein Informationsträger. Die Morde waren ein Zeichen, dass wir die Nächsten sein könnten – entweder ich oder meine Frau. Uns war klar geworden, dass wir Kasachstan verlassen müssen.
Haben Sie Beweise, dass hinter den Morden an Nurkadilow und Sarsanbajew der Nasarbajew-Clan steckt?
Zamanbek Nurkadilow zum Beispiel wurde während des Wahlkampfs 2005 tot aufgefunden – mit zwei Kugeln im Oberkörper und einer Kugel im Kopf. Offiziell hiess es, dass es sich um einen Suizid handle. Das spricht doch für sich.
Vor fünf Jahren sind Sie in die Schweiz geflüchtet. Warum haben Sie sich in Genf niedergelassen?
Unsere Familie ist seit vielen Jahren in der Schweiz präsent. Meine Kinder haben ab den Neunzigerjahren ihre Ausbildung in Genf absolviert. Als meine Frau noch als Geschäftsfrau tätig war, hatte sie enge Kontakte mit Schweizer Partnern für verschiedene Projekte in Kasachstan. Damit habe ich früh das politische System der Schweiz kennen und schätzen gelernt.
Sie haben aus Angst um Ihre Familie Kasachstan verlassen. Fühlen Sie sich in der Schweiz sicher?
In den letzten zwei Jahren sind immer wieder Dinge passiert, die Anlass zur Besorgnis geben. Beispielsweise haben sich ehemalige Mitarbeiter des kasachischen Geheimdienstes telefonisch bei mir gemeldet und mich gewarnt, dass Personen nach Genf reisen werden, wo sie sich mit meiner Familie beschäftigen werden. Immer wieder haben wir beobachtet, dass wir von Autos verfolgt werden. Unbekannte haben meiner Schwiegertochter ein GPS-Gerät ans Fahrzeug montiert, um ihre Bewegungen zu verfolgen. Zudem wurde sie fotografiert und gefilmt. Meine Frau wurde in London und Dubai von mutmasslichen Privatdetektiven beschattet und kontaktiert. Und so weiter. Das alles gibt uns das Gefühl, bedroht zu sein.
Wie gehen Sie damit um?
Im Alltag sind wir sehr aufmerksam und beobachten genau, was um uns herum passiert. Zudem habe ich meine Besorgnis den Schweizer Behörden mitgeteilt. Und ich habe einen Antrag auf politisches Asyl in der Schweiz gestellt.
Wie schlimm ist es für Sie, dass Sie möglicherweise nie mehr nach Kasachstan reisen können?
Die Schweiz ist unser Zuhause, unsere zweite Heimat. Die Situation in Kasachstan schmerzt uns, das ist klar. Es ist schlimm, dass wir unsere Verwandten in Kasachstan nicht sehen können. Schlimm ist auch, dass es in Kasachstan Menschen gibt, die wegen uns leiden müssen. Von Genf aus kämpfen wir, so gut wir können, für ein besseres, demokratisches Kasachstan. Wir scheuen uns nicht, das Nasarbajew-Regime zu kritisieren und die Wahrheit zu sagen. Nasarbajew ist ein skrupelloser Diktator, dem es in erster Linie um die Bereicherung seines Clans geht. Und wir werden alles daran setzen, dass wir eines Tages nach Kasachstan zurückkehren können.
Quelle: Tagen-Aizenger – «Die Morde waren ein Zeichen, dass wir die Nächsten sein könnten»