Zuerst geriet Wiktor Chrapunow ins Visier der Nationalräte Markwalder und Miesch. Jetzt, nach jahrelangem Verfahren, wird der Ex-Politiker aus Kasachstan als politischer Flüchtling anerkannt.
Er ist der Mann im Zentrum der Kasachstan-Affäre, die seit Jahren die Schweizer Justiz, die Politik und die Medien immer wieder in Atem hält.
Der Mann heisst Wiktor Chrapunow, ist heute 72 Jahre alt und war früher einer der mächtigsten Männer von Kasachstan. Er war Minister, Bürgermeister der Stadt Almaty und Gouverneur. Doch dann überwarf er sich mit dem Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew. 2007 floh Chrapunow mit seiner Frau Leila, einer vermögenden Geschäftsfrau, nach Genf.
Seither versucht der kasachische Staat mit allen Mitteln – legalen wie illegalen –, der Chrapunows habhaft zu werden. Er schickte dafür eigene Agenten in die Schweiz, um die Chrapunows zu überwachen und einzuschüchtern. Und er heuerte ein kleines Heer von Schweizer Anwälten, Privatdetektiven und Lobbyisten an. Unter ihnen etwa die Zürcher Anwaltskanzlei Homburger und der Schweizer Ex-Diplomat Thomas Borer.
Das Ziel all dieser Bemühungen: die Schweiz dazu zu bringen, die Chrapunows nach Kasachstan abzuschieben.
Auch Nationalräte wie Christa Markwalder (FDP) und Christian Miesch (SVP) liessen sich von kasachischen Lobbyisten instrumentalisieren. Mit Vorstössen im Parlament und in Kommissionen versuchten die beiden, Druck für Chrapunows Auslieferung aufzubauen.
Publik wurden viele dieser Operationen 2015 dank Tausenden von gehackten E- Mails, die Unbekannte ins Netz gestellt hatten. Daraus ging auch hervor, dass sich Kasachstan die Jagd nach den Chrapunows Millionensummen kosten lässt.
Entscheid kurz vor Jahresende
Doch nun stellt die Eidgenossenschaft das Paar, das heute geschieden ist, offiziell unter ihren Schutz: Das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen hat am 29. Dezember entschieden, den Chrapunows Asyl zu gewähren.
Damit werden die Chrapunows zu den derzeit wohl prominentesten anerkannten politischen Flüchtlingen der Schweiz überhaupt.
Der kasachische Staat wirft den Chrapunows offiziell vor, Wirtschaftsdelikte begangen und Gelder unterschlagen zu haben. Im Jahr 2018 sind sie deswegen von einem kasachischen Gericht in Abwesenheit zu 17 beziehungsweise 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Die Chrapunows hingegen machen politische Verfolgung geltend. Ein Grund für den Zorn des Regimes sei, dass ihr Sohn die Tochter von Mukthar Abljasow geheiratet hatte. Abljasow, das ist der prominenteste Oppositionelle überhaupt, eine Art Staatsfeind Nummer eins. Im Oktober 2020 hat auch Abljasow Asyl erhalten, und zwar in Frankreich. Doch auch Chrapunow selber hat sich öffentlich gegen das Regime exponiert, allerdings vor allem nach seiner Ankunft in der Schweiz. So publizierte er etwa ein Buch mit dem unzweideutigen Titel: «Nasarbajew – Ihr Freund, der Diktator».
Zehnjähriges Verfahren
Der Asylentscheid fiel jetzt nach fast zehnjährigem Verfahren. Bisher hatte Chrapunow eine Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis), bei der er nie die Gewähr auf Verlängerung haben konnte.
2011 stellten sie ein erstes Asylgesuch und 2013 ein zweites, die beide vom Staatssekretariat für Migration (SEM) abgewiesen wurde. Aus Sicht des SEM war es nicht erwiesen, dass die Chrapunows primär aus politischen Gründen gejagt würden.
Das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen hat den Entscheid nun umgestossen. Dieser Entscheid ist endgültig. Der Anwalt, der den Prozess gewonnen hat, ist ebenfalls ein Prominenter: der Genfer FDP-Nationalrat Christian Lüscher.
Zwar mochte das Gericht nicht ausschliessen, dass die Chrapunows von der in Kasachstan grassierenden Korruption profitiert haben könnten. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, sei es für den Asylentscheid irrelevant, befand das Gericht. Denn die Chrapunows könnten in Kasachstan nicht mit einem fairen, unpolitischen Justizverfahren rechnen.
Zu diesem Schluss kommt das Gericht nach einer bemerkenswert ausführlichen Analyse der politischen Verhältnisse in Kasachstan. Dabei stützte sich das Gericht auf umfangreiche Literatur von Landeskennern.
In seinem Urteil wird das Gericht sehr deutlich. Die Menschenrechtssituation: «besorgniserregend». Die Justiz: «nicht unabhängig» und «von der Exekutive gesteuert». Politische Prozesse und Folter: weit verbreitet. Sogar Morde an Oppositionellen kämen vor. Das ganze Land sei bis heute von Nasarbajews «Clan» (O-Ton Gericht) gesteuert, auch wenn der heute 80-Jährige 2019 formell als Präsident zurückgetreten ist.
«Dankbar für den Schutz»
Das Bundesverwaltungsgericht ist nicht die erste Schweizer Instanz, die zugunsten der Chrapunows entscheidet. Schon 2014 lehnte das Bundesamt für Justiz seine Auslieferung wegen der Menschenrechtssituation in Kasachstan ab. 2018 wies das Amt auch kasachische Rechtshilfeersuchen zurück. Und 2019 stellte die Genfer Staatsanwaltschaft ein eigenes Strafverfahren, das sie aufgrund der kasachischen Vorwürfe eröffnet hatte, ergebnislos ein.
Die Chrapunows seien «dankbar für den Schutz, den die Schweiz ihnen gewährt», sagt ihr Mediensprecher Marc Comina. Mit diesem Entscheid anerkenne die Schweiz offiziell, dass die Chrapunows aus politischen Gründen verfolgt würden.
«Bedauerlich» sei aber, so Comina, dass das Bundesverwaltungsgericht die kasachische Justiz einerseits mit vielen Details als korrupt und politisiert beschreibe, andererseits den Anschuldigungen dieser Justiz gegen die Chrapunows aber doch einen möglichen Kredit gebe. Dies sei umso stossender, als die Schweizer Justiz diese Vorwürfe selber untersucht und die Chrapunows «reingewaschen» habe.
Quelle: Tages-Anzeiger